Die DDR im Schmalfilm Bild - Huhn

Von Hühnern und Schweinen

Down

Von Hühnern und Schweinen

von Annette Vowinckel

04. Juli 2022

Eine Suche nach „Hühnern“ oder „Schweinen“ in den Filmen der Open Memory Box ergibt jeweils mehrere Dutzend Treffer. Die Fundstellen zeigen die Tiere in unterschiedlichsten Situationen: Auf der Wiese, im Hof, auf der Agrarausstellung Agra 76 und auf der Schlachtbank. Aber erstaunlich wenige der Situationen lassen etwas DDR-Spezifisches erkennen. Waren die Unterschiede zwischen Ost und West doch kleiner, als man denkt?

Kinder und Tiere gehen immer. Sie gehören zu den beliebtesten Motiven der privaten Fotografie, besonders in Kombination miteinander. Das gleiche scheint für die private Produktion von Schmalfilmen zu gelten, denn eine Recherche in der Open Memory Box nach „Tieren“ im Allgemeinen ebenso wie nach „Kuh“, „Pferd“ oder „Hund“ bringt jeweils eine ganze Reihe von Treffern. Das gleiche gilt für Kleinsthaustiere wie Hamster, Meerschweinchen und Kaninchen, für Zootiere wie Elefanten und Giraffen, und auch heimische Wildtiere wie das Reh, den Fuchs und das Wildschwein tauchen immer wieder auf.

In diesem Beitrag soll es nicht um Tiere im Allgemeinen, sondern um Nutztiere gehen. Stellvertretend wird hier die Darstellung von Hühnern und Schweinen untersucht, die einerseits auf kleineren Höfen omnipräsent waren, die im Kontext der Massentierhaltung aber auch für die DDR-Wirtschaft eine wichtige Rolle spielten. Ich werde beginnen mit einer allgemeinen Beschreibung des Bildmaterials, werde dann jeweils einige ausgewählte Szenen mit Beteiligung von Hühnern bzw. Schweinen detailliert unter die Lupe nehmen und beide schließlich in den Kontext der jeweiligen Forschung einordnen. Als Leitplanken dafür dienen die einschlägigen Publikationen von Patrice Poutrus über Die Erfindung des Goldbroilers und von Thomas Fleischman über Communist Pigs, die eine Kontextualisierung des filmischen Materials geradezu herausfordern.[1]

Hühner

Eine Suche nach den Begriffen „Huhn“, „Hahn“ und „Hühner“ erbringt in der Open Memory Box 67 Treffer. Davon entfallen 5 auf die fünfziger, 14 auf die sechziger, 11 auf die siebziger und 4 auf die achtziger Jahre, der Rest ist keiner Dekade zugeordnet. Daraus könnten wir vorsichtig schließen, dass Hühner vor allem in den sechziger und siebziger Jahren ein beliebtes Filmobjekt waren. Die eher niedrige Trefferzahl für die fünfziger Jahre dürfte damit zu erklären sein, dass das Filmen in diese Dekade noch wenig üblich war. Das Verschwinden der Hühner in den achtziger Jahren könnte eine Folge des Verschwindens von Hühnern aus dem Alltag der DDR-Bevölkerung sein. Beide Annahmen sind spekulativ, und da etwa die Hälfte der Fundstellen nicht datiert sind, während andere mangels belastbarer Daten gleich zwei Dekaden zugeordnet werden, ist diese quantitative Auswertung ohnehin wenig aussagekräftig.

Die meisten Hühner, die uns im Film begegnen, laufen auf einem Hof herum. Zuweilen ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich, weil sie von einem Kind getragen werden (OMB Box 033 Rolle 21) (OMB Box 125 Rolle 01) oder weil sie lustige Dinge tun, zum Beispiel auf ein Sofa hüpfen (OMB Box 065 Rolle 16). Viele Hühner werden gefüttert (OMB Box 078 Rolle 12), gelegentlich werden auch einzelne Tiere „porträtiert“ (OMB Box 124 Rolle 03) und (OMB Box 024 Rolle 01). Die Suche zeigt zudem zwei Hahnenkämpfe, wobei in einem Fall jedoch fraglich ist, ob hier nicht falsch verschlagwortet wurde: jedenfalls sehen die Füße der kämpfenden Tiere mit ihren ausgeprägten Schwimmhäuten eher wie die von Gänsen oder Enten aus, nicht wie die Krallen von Hähnen.

Sequenz aus OMB Box 111 Rolle 06

Eine Szene zeigt, wie jemand mit einer blechernen Futterkanne wiederholt einen Hahn anstupst, der sich davon auch gern provozieren lässt. Hier scheint es eine große Vertrautheit zwischen Mensch und Tier zu geben. (OMB Box 124 Rolle 03) Zumeist aber laufen Hühner einfach nur dort herum, wo gerade etwas anderes die Aufmerksamkeit auf sich zieht – nicht selten sind dies Kinder, größere Tiere oder Autos (z.B. (OMB Box 106 Rolle 22)).

Der einzige Film, auf dem Hühner nicht im privaten Umfeld auftauchen, wurde bei einer landwirtschaftlichen Tierschau aufgenommen. Der Vorspann der Filmrolle, auf der dieser Ausschnitt zu sehen ist, zeigt ein gezeichnetes Schild mit der Aufschrift: „Mitglied des CLFA Titelträger ‚Hervorragendes Volkskunstkollektiv‘“; anschließend eine Zeichentrickaufnahme eines von rechts nach links laufenden Kameramanns und dann den Titel: „RHoch zeigt: Mit der Kamera unterwegs“.

Sequenz aus OMB Box 127 Rolle 01

Es ist anzunehmen, das R. Hoch hier seine Familie beim Besuch einer landwirtschaftlichen Messe oder Ausstellung aufgenommen hat. Nach dem Vorspann sind eine Frau, ein etwa zehnjähriges Mädchen und ein etwa sechsjähriger Junge zu sehen, die in Sonntagskleidung eine Kleingärtneranlage betreten. Der Film springt dann zum Parkplatz einer Halle, auf der in großen weißen und orangefarbenen Lettern geschrieben steht: „12.6.-11.7.1976 agra 76“. Aus einer 1976 erschienenen Begleitpublikation können wir schließen, dass es sich um die „Lehrschau der Pflanzen- und Tierproduktion mit Beteiligung der Mitgliedsländer des RGW“ handelt, die zu diesem Zeitpunkt in Markkleeberg südlich von Leipzig stattfand.[2] Tatsächlich wehen in unserem Film links im Bild zwischen diversen Wartburgs und Trabants (in den siebziger-Jahre-Farben weiß, grau, orange und hellblau) die Fahnen der RGW-Mitgliedstaaten (und rechts im Bild 16 DDR-Fahnen). Über eine Freifläche auf dem Messegelände ist ein großes Banner mit der Aufschrift „Mit der Kraft des Volkes für das Wohl des Volkes“ gespannt.

Die Familie Hoch befindet sich also im Jahr 1976 auf einem Ausflug zur Agrarausstellung in Markkleeberg. Nach dem Verzehr einer Thüringer Rostbratwurst begibt sich der filmende R. Hoch zunächst zu einer Modenschau, die er recht ausgiebig filmt. (OMB Box 127 Rolle 01) Es folgen längere Aufnahmen von der Vorführung diverser Nutztiere: den Auftakt macht eine Reihe von Schafen und Lämmern, die von Männern und Frauen in weißen Kitteln über einen großen Sandplatz geführt werden. Es folgen Kühe, Kälber und Stiere, Schweine und noch einmal Schafe, bevor der Filmende ein Gebäude betritt, auf dessen Außenwand die Nummer 43 und die Aufschrift „Geflügelproduktion“ angebracht sind.

Sequenz aus OMB Box 127 Rolle 01

Im Inneren dieses hallenartigen Gebäudes sind mehrere Geflügelkäfige aus Holz und Draht zu sehen, in denen zahlreiche weiße Hühner hin und her laufen. Ein Käfig ist mit dem Schild „Broilerelterntiere Tetra B“ versehen, ein anderer verweist bereits auf „Zentrale Leistungsschauen 1977“, befindet sich also im Modus der Ankündigung antizipierter Leistungen. (OMB Box 127 Rolle 01)

Es folgen auf der gleichen Filmrolle noch Aufnahmen von Bibern, Gänsen, Kaninchen, von der „Ziergeflügel-, Exoten- und Kanarienzucht“, von Bienenkästen und noch einmal von braunen, freilaufenden Hühnern neben einer großzügigen hölzernen Stallanlage, die sogar zwischen „Hühnerstall“ und „Kükenstall“ differenziert.

Sequenz aus OMB Box 127 Rolle 01

Diese Ausstellungszone der Agra 76 soll offenbar eher Privathaushalte und die Bewohner*innen kleinerer Höfe ansprechen.

Nachdem der filmende Herr Hoch noch ein paar Blicke auf Traktoren und Nutzfahrzeuge sowie auf eine Wiese mit Shetlandponys geworfen hat, ist dieser Teil des Films beendet. Es folgen wieder Aufnahmen aus der Kleingartenkolonie, darunter eine, auf der Hoch selbst in einem Spiegel zu sehen ist und so als ein Mann im Alter von etwas 30 bis 40 Jahren identifiziert werden kann. (OMB Box 127 Rolle 01) Später nimmt eine andere Person – vermutlich eins der Kinder, die zuvor selbst durchs Bild liefen – die Kamera und filmt Hoch bei der Gartenarbeit. An einem Zaun hängt ein Schild mit der Aufschrift „Fliederweg“ – es könnte sich um den Kleingärtnerverein Fliederweg im Leipziger Stadtteil Dölitz-Dösen handeln, der 1956 gegründet wurde und heute noch dort besteht.[3] Dies würde jedenfalls die Nähe zum Messegelände der Agra 76, das nur wenige Kilometer von dort entfernt gelegen war, vermuten lassen.

Was aber hatte es mit den „Broilerelterntieren“ auf sich, die in einer der Messehallen zu sehen waren? Anders als die freilaufenden Hühner verweisen sie offensichtlich auf die industrielle Produktion von Grillhähnchen in der DDR, die Patrice Poutrus in seinem Buch über die „Erfindung des Goldbroilers“ anschaulich beschrieben und stellvertretend für viele andere Konsumgüter analysiert hat. Produziert wurden die Grillhähnchen in den „Kombinaten für industrielle Mast“, kurz KIM, die in den 1950er Jahren noch als Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) konzipiert wurden, de facto aber erst sehr viel später als Volkseigene Betriebe (VEB) die auf sowjetischen Zuchtmethoden basierende Produktion aufnahmen.[4] Entwickelt wurden die Konzepte von der „Zentralen Aufbaugruppe für den Aufbau von Beispielanlagen der Industriellen Tierproduktion“, kurz ZAG. Sie sah für die zweite Hälfte der sechziger Jahre den Aufbau eines Kombinats vor, das 400.000 Masthähnchen aufziehen sollte. Die Investition sollte unter anderem durch den Verkauf von Eiern nach Westberlin finanziert werden.[5] 1967 wurde das erste Kombinat für industrielle Mast als Pilotprojekt in Königs Wusterhausen gegründet, und damit verbunden war die Einrichtung zahlreicher Goldbroiler-Gaststätten seitens der DDR-Handelsorganisation HO, über die das begehrte Grillhähnchen an die Bevölkerung verfüttert wurde.

Diese Entwicklung war, so Patrice Poutrus, für DDR-Bürger*innen von großer Bedeutung. Gerade weil das Leben in der DDR „besonders im Vergleich zur Bundesrepublik beschwerlich“ war, hatte „gutes und reichliches Essen (…) einen so hohen Stellenwert“, und die Erfindung des Goldbroilers als kulinarische Marke im Anschluss an die westlichen Wienerwald-Grillhähnchen „kann unter dieser Perspektive als exemplarischer Übergang von Gewalt zum Arrangement im SED-Staat gesehen werden.“[6] Ganz ähnlich verhielt es sich mit der Produktion und dem Konsum von Schweinefleisch.

Schweine

Bevor ich auf die industrielle Produktion von Schweinefleisch in der DDR eingehe, möchte ich noch einmal einen Blick auf unser Schmalfilmmaterial werfen. Mit den Schweinen verhält es sich dort ähnlich wie mit den Hühnern. Viele von ihnen laufen in kleiner Zahl in privater Umgebung herum, meist auf Höfen oder daneben gelegenen Wiesen. Eine schwarzweiße Aufnahme aus den 1960er Jahren wurde auf einer Wiese in Hausnähe gemacht, auf der eine Muttersau mit etwa zwölf sehr munteren Ferkeln im Gras wühlt. Ein Mann und zwei Mädchen im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren nehmen wiederholt eines der Ferkel auf den Arm – bis die Muttersau skeptisch den Kopf hebt oder sich gar in Bewegung setzt. Unter fröhlichem Gelächter werden die Ferkel dann schnell wieder abgesetzt. Es handelt sich offenbar um eine Art „Mutprobe“ oder ein Spiel, das durch die Präsenz einer Filmkamera noch angeheizt wurde.

Sequenz aus OMB Box 072 Rolle 24

In vielen Sequenzen erscheinen Schweine als Haustiere, die Ferkel sogar als eine Art lebende Kuscheltiere. In der gleichen Box wie die eben beschriebene Sequenz findet sich auch ein auf die 1970er Jahre datierter Farbfilm, auf dem ebenfalls eine Muttersau mit Ferkeln auf einem Hof gezeigt wird. (OMB Box 072 Rolle 20) Dass in diesem Film auch ein Feld mit einem Pferdegespann gepflügt und eine Heuwiese ebenfalls mit einem Pferdegespann gemäht wird, ist ein Hinweis darauf, dass hier eine Art Subsistenzwirtschaft gepflegt wurde. (OMB Box 072 Rolle 20) Zumindest handelt es sich um einen kleineren landwirtschaftlichen Betrieb, der nicht über große Landmaschinen verfügt.

Zwei Filme zeigen das Ende der freundschaftlichen Mensch-Tier-Beziehung in Form einer Hausschlachtung. Der erste stammt vermutlich noch aus den 1960er Jahren und wurde in schwarzweiß gedreht. Auch diese Aufnahmen zeigen zunächst zwei kleinere Schweine, die von zwei Jungen geneckt und dann in einen Verschlag gedrängelt werden.

Sequenz aus OMB Box 122 Rolle 40

Wenig später wird auf dem Hof ein ausgewachsenes Schwein getötet, indem einer der anwesenden Männer ihm mit einem Messer die Halsschlagader durchtrennt. Anschließend wird das Blut in einem Eimer aufgefangen, die Haut des Schweins wird abgetrennt, das tote Tier mit heißem Wasser übergossen, das gehäutete Schwein mit Messern und einer Säge zerlegt. Die Gedärme werden in einer großen Zinkwanne gewaschen, die Leber des Tiers fachmännisch begutachtet.

Auch die Kinder, in diesem Fall zwei Jungen im Grundschulalter, beteiligen sich eifrig an der Schlachtaktion. Eines von ihnen spielt mit einer Axt und Schlachtabfällen, während zwei der insgesamt vier anwesenden erwachsenen Männer mit dem abgeschnittenen Schwanz des Schweins herumblödeln. Außer den Männern ist auch eine Frau mittleren Alters bei der Schlachtung dabei, die Hilfsarbeiten wie das Anreichen eines Eimers und das Herbeischaffen von Wasser übernimmt.

Sequenz aus OMB Box 122 Rolle 40

Im weiteren Verlauf dieser Filmrolle werden mehrere Bleche mit Weihnachtsstollen zu einem Auto getragen, und es ist auch ein familiäres Essen mit Weihnachtsbaum im Hintergrund zu sehen. Auf den Auftritt einer als Weihnachtsmann verkleideten Person folgt eine sehr fröhliche Bescherung. Diese Aufnahmen legen die Vermutung nahe, dass die Schlachtung zu dem Zweck vorgenommen wurde, kurz vor Weihnachten noch einmal den Vorrat an hochwertigem Fleisch aufzufüllen.

Für die 1970er Jahre führt die Suche nach Schweinen einmal mehr zur Agra 76 und der oben beschriebenen Nutztiervorführung.

Sequenz aus OMB Box 127 Rolle 01

Hier werden saubere und wohlgenährte Tiere einem breiten Publikum vorgeführt, das sich nicht nur aus Landwirt*innen zusammensetzte, sondern wo sich auch die lokale und regionale Bevölkerung einfand, um einen Imbiss zu nehmen und eine Modenschau anzusehen. Diese Schweine stehen also im Kontext einer Fortschrittserzählung („wir in der DDR produzieren viel gutes Fleisch und halten uns an alle modernen Standards“) und eines Freizeitkonzepts („man vergnügt sich bei Bier und Rostbratwurst und sieht sich nebenbei mehr oder weniger exotische Tiere an“).

Für die 1980er Jahre ist indes noch einmal eine Hausschlachtung dokumentiert, diesmal in Farbe und bei sonnigem Wetter. Der Ablauf ist dem der ersten Schlachtung erstaunlich ähnlich. Wieder wird das Schwein gepackt und von vier Männern zu Boden gedrückt, bevor einer von ihnen die Schlagader durchtrennt und eine Frau das Blut mit einer Schüssel auffängt.

Sequenz aus OMB Box 082 Rolle 17

In der gleichen Box findet sich auch eine längere Sequenz, die ein Erntefest zeigt. Alljährlich wurde in den LPGs ein solches Fest organisiert, mit dem das Ende der harten Erntearbeit gefeiert und Gemeinschaftsgefühle gestärkt werden sollten. In diesem Fall ist ein wohlgemästetes lebendes Schwein auf einem reich mit Blumen und Ähren geschmückten Anhänger zu sehen, der von einem Pferdewagen durchs Dorf gezogen wird (OMB Box 082 Rolle 01). Auf anderen Hängern finden sich Kühe oder Kälber, dazwischen Traktoren und eine Gruppe von Reitern zu Pferd. Das ganze Dorf scheint auf den Beinen zu sein, und Tiere aller Art feiern mit (sofern sie nicht auf dem Grill liegen).

Sequenz aus OMB Box 082 Rolle 01

Ähnlich wie bei den Hühnern ist die Beziehung zwischen Mensch und Schwein von verschiedenen Faktoren geprägt. Neben dem Hausschwein, dessen Schlachtung oben bereits als Gegenstand des privaten Filmens beschrieben wurde, gab es vor allem das quasi-industriell gezüchtete Mastschwein, dessen „Produktion“ eng mit der Geschichte der DDR und des Staatssozialismus verbunden war. Diese industrielle Fleischproduktion setzte etwas später ein als die der Goldbroiler, nämlich mit der Ankunft von 9.000 Zuchtschweinen aus Jugoslawien. Sie wurden zwischen November 1969 und März 1970 per Charterflug nach Schönefeld und vom Flughafen aus in das SZMK (Schweinezucht und Mastkombinat) Eberswalde gebracht, wo sie den Grundstock einer neuen Zucht bildeten.[7] Ihr Futter wurde im nahegelegenen Kraftfuttermischwerk produziert und maschinell an die Tiere verfüttert. Sobald sie ein bestimmtes Gewicht erreichten, wurden sie in den Schlacht- und Verarbeitungs-Komplex (SVK Eberswalde/Britz) gebracht und dort ins Jenseits befördert.

Man könnte die Arbeitsabläufe gut mit denen in den Schlachtfabriken der Firma Tönnies vergleichen, die ihren Hauptsitz im westdeutschen Rheda-Wiedenbrück hat. Thomas Fleischman dagegen zieht einen strukturellen Vergleich zwischen der Fleischwirtschaft der DDR und der der USA und kommt dabei zu originellen Ergebnissen, die Paul Sutter in seinem Vorwort zu Communist Pigs so zusammenfasst: „Thomas Fleischman demonstrates that a market-oriented version of industrial animal production had won a Cold War victory in East Germany well before the fall of the Berlin Wall. Indeed, in an opening vignette that makes brilliant use of George Orwell’s Animal Farm as a kind of prophecy, Fleischmann suggests that industrial pig production in postwar East Germany came to stand on the same hind legs as capitalist pig production in the West.”[8]

Bis in die siebziger Jahre hinein war die Massenfleischproduktion in der DDR daran gescheitert, dass es nicht genug Schweinefutter gab. Als aber der Westen begann, den Weltmarkt mit extrem billigem Getreide zu fluten, wurde das industrielle Schweinefleisch auch im Osten Deutschlands bezahlbar. Als aber die Preise stiegen, wurden sie zu einem Strohhalm auf dem Rücken des sprichwörtlichen Esels, der die DDR zu Fall brachte: Die Expansion der Schweinewirtschaft „only worked as long as the spigots of cheap grain and ready capital remained open. Once they closed, the system began to implode, and so did the nation. In the end, it was a system built of sticks and straw.”[9]

Patrice Poutrus und Thomas Fleischman haben auf sehr unterschiedliche Weise die Geschichte einer Tierart und eines Konsumguts mit der Geschichte der DDR verflochten und gezeigt, dass deren Untergang, so komplex die Ursachen auch waren, nicht zuletzt eine Folge der Unfähigkeit war, die eigene Bevölkerung zuverlässig mit den ihr besonders wichtigen Dingen zu versorgen, und neben dem Grillhähnchen und der Bratwurst könnte man in dieser Rubrik auch den Kaffee nennen, der in der sogenannten Kaffeekrise negative Schlagzeilen machte. Gleichzeitig zeigt ein Blick auf die Produktionsbedingungen von Fleisch, dass die Parallelen zwischen Ost und West deutlich größer waren als die Unterschiede, zum Beispiel hinsichtlich der Lebens- und Sterbensbedingungen der Tiere, des Raubbaus an der Natur durch Monokulturen in der Futterproduktion, durch die Überdüngung der Böden und die psychischen Belastungen für die in den Schlachtfabriken beschäftigten Menschen.[10]

Es mag Zufall sein, dass die in der Open Memory Box präsentierten Filmaufnahmen aus der DDR alle diese Aspekte des Zusammenlebens von Menschen, Schweinen und Hühnern visuell reproduzieren. Wir sehen das Hausschwein auf der Wiese, das Hausschwein am privaten Schlachttag, das Mastschwein in der Fleischfabrik und die Wurst auf dem Grill; wir sehen das Huhn, das von Kindern gefüttert und gestreichelt wird ebenso wie das Masthähnchen, das auf der Agra 76 die goldene Zukunft des Broilers vom Grill ankündigt. Dass viele dieser Szenen ohne Wissen um die Provenienz des Materials nur schwerlich als DDR-Geschichten erkennbar wären, stärkt die These, dass die Beziehungen von Mensch und Tier ebenso wenig systemabhängig waren wie das Bedürfnis, Fleisch zu essen.

  alle Beiträge
Up