DDR im Schmalfilm: Und immer wieder Flamingos...

Und immer wieder Flamingos...: Der Zoo zwischen Privatheit, Aneignung und sozialistischer Inszenierung

Down

Und immer wieder Flamingos...: Der Zoo zwischen Privatheit, Aneignung und sozialistischer Inszenierung

Die Dokumentationen des Besuchs von Zoos, Tierparks und Heimtiergärten bildet eine immer wiederkehrende Bildkategorie in den Sequenzen. Sie zeigen hier ein Bild von (gewünschter) Privatheit, die sich einerseits in die Erzählung des sozialistischen Zoos als eines Ortes für Alle einpasst, sich anderseits aber deren Narration von Wissenschaftlichkeit und Fortschritt häufig versperrt. Eine alltags- und tiergeschichtliche Perspektive zeigt ferner, dass Zoos weniger Exotik denn Verlässlichkeit vermittelten.

Einleitung

Der Zoobesuch mit der Familie oder mit der Schulklasse. Dazu noch einen Luftballon, ein Eis oder eine Limo. Wohl kaum etwas anders scheint sich in das kindliche Gedächtnis so eingeschrieben zu haben, wie das erste Mal vor einem Elefanten, Löwen oder Bären gestanden zu haben und dabei in gelöster Atmosphäre zu spielen, zu naschen und zu entdecken. Dieses Erleben war in der DDR vermutlich nicht anders als in der BRD. Es schloss damit an die lange Geschichte zoologischer Gärten an, die spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts von sich behaupteten, eine ausgewogene Mischung aus Unterhaltung und Bildung für alle zu präsentieren.

Dabei waren Zoos von Beginn an auch politische Einrichtungen: was präsentiert wurde, war keinesfalls neutral. Über den Zoo und seine Vorläuferin, die fürstliche Menagerie, wurden absolutistische Herrschaftsinszenierung, imperiale Gebietsansprüche und nationalistische Großmachtsfantasien verhandelt.[1] Der realsozialistische Tiergarten präsentierte sich indes primär als Ort des wissenschaftlichen Fortschritts, in der die Natur selbst ihre Ausstellung fände.[2]

Immerhin neun Zoos und 125 Tierparks und sogenannte Heimtiergärten gab es in der DDR,[3] darunter altgediente, wie der in Dresden, 1861 gegründet, oder der in Leipzig (1878), der in den Sequenzen der Kurzfilme am häufigsten auftaucht. Es fanden aber auch Zooneugründungen statt, die sich mit neuen Anlagen im sozialistischen Design schmückten oder bourgeois-westliche Entwürfe umdeuteten: Allen voran der 1955 eröffnete Tierpark Berlin-Friedrichsfelde. Aber auch die Einrichtung von Zoos in Magdeburg (1950), Karl-Marx-Stadt/Chemnitz (1964) oder Wismar (1969) zeigten sich als staatstragende Einrichtungen, indem sie beispielsweise explizit die Tiere der sozialistischen Bruderstaaten ausstellten.

Die Filme zeichnen ein recht gutes Bild der jeweiligen Darstellungen. Allerdings sind sie in ihren jeweiligen visuellen Erzählungen durchaus unterschiedlich und passen sich nicht immer in die Geschichte einer wissenschaftlich überlegenen und landschaftlich ansprechenden Demonstration sozialistischen Fortschritts ein. Wer hinter der Kamera stand, bestimmte darüber, welche Menschen (oder welche nicht) in welchen Positionen mit welchen Tieren (oder ohne sie) in welchem Setting abgebildet wurden. Hier lassen sich einige Muster erkennen, die wir im Folgenden einordnen wollen. Ferner befassen wir uns mit der Rolle der Tiere und ihrem Quellenwert für eine erweiterte DDR-Historiographie und der Frage, ob sie neue Perspektiven ermöglichen.

Typifizierungen: Der Zoo in unterschiedlicher Rahmung

Das Familienalbum

Kinder vor Gitterstäben, Großeltern, Pärchen, der deutende Zeigefinger auf das Tier im Käfig: Diese Motive tauchen immer wieder auf. Offensichtlich besuchte man den Zoo gerne in Gruppen mehrerer Generationen. Der Familienausflug in den Zoo war visuell geprägt von einer klaren Fokussierung auf den (menschlichen) Nachwuchs, der mal mehr mal weniger begeistert den Kopf Richtung Elefant oder Giraffe reckte und auch immer wieder aufgefordert wurde, sich vor dem Käfig zu platzieren, stets mit Blick auf die Kamera. Auch ohne Ton sind die Reaktionen auf Zurufe des/der Filmenden heute noch deutlich erkennbar, die “Dreht euch mal um!”, “Schaut hierher!” oder “Lächeln!” gelautet haben müssen. Die Kinder, zuvor von der Kamera ab- und den Tieren zugewendet, traten wieder in Kommunikation mit der Bildherstellung – die Tiere verschwanden aus dem Fokus. Häufig wurde der Spross auch im Kinderwagen durch den Park geschoben. Es wurde dokumentiert, wie sich Kinder an den Gittern hochhangelten, Klettergerüste erklommen oder Tierskulpturen streichelten. Die Tiere und ihre Zooheimat wirkten wie ein Hintergrundmotiv für eine gute Kindheit.

Sequenz aus OMB Box 004 Rolle 10
Sequenz aus OMB Box 022 Rolle 15
Sequenz aus OMB Box 057 Rolle 09
Sequenz aus OMB Box 092 Rolle 13
Sequenz aus OMB Box 096 Rolle 02
Sequenz aus OMB Box 150 Rolle 07

Auf der Streichelwiese waren es oft männliche Erwachsene, die ihre Hände auf Esel oder Ziegen legten und damit vormachten und verdeutlichten, wie man sich dem Tier zu nähern habe. Man sieht aber auch glückliche Kinder Ponys streicheln oder Tierbabys füttern.

Sequenz aus OMB Box 051 Rolle 05
Sequenz aus OMB Box 052 Rolle 03

In der visuellen Anordnung mit Kindern wurden die Käfige nicht kaschiert, im Gegenteil. Ein natürlicher Ort sollte in diesen Filmen jedenfalls nicht entworfen werden. Dieser schien für das vergnügliche Beisammensein auch nicht vonnöten zu sein.

Mitunter sind die Sequenzen aus den Zoos sehr kurz. Der Ausflug in den Zoo machte offensichtlich nur einen Teil der Vergnügung aus. Aufnahmen von Zoobesuchen im Familienkontext schließen sich in den Filmrollen oft unmittelbar an Urlaubsfilme von der Ostsee oder dem Balaton an, die auf eine weit breitere Freizeitgestaltung schließen lassen, in der der Zoo eben nur einer unter vielen anderen außergewöhnlichen Erlebnisorten war .

Tiergärten in Ungarn oder Delfinarien in Rumänien gehören also ebenso zu dem, was dokumentiert wurde. Inwieweit der Zoo als Ort eine reine „Kompensationsfunktion vor dem Hintergrund der fehlenden Reisefreiheit und eingeschränkten Freizeit- und Konsumangebote”[4] hatte, oder ob letzteres nicht doch zeitlich eher für die frühe DDR galt, könnte vor diesem Hintergrund noch ein mal neu erörtert werden.[5]

Sequenz aus OMB Box 047 Rolle 02

Denn Zoos waren unbedingt beliebt, daran kann kein Zweifel bestehen. Gerade in den Aufnahmen aus den zoologischen Gärten von Dresden und Leipzig sieht man neben der Familie, der in der Regel filmisch gefolgt wird, auch viele andere Besucher:innen, die sich vor den Käfigen drängeln. Dies waren offensichtlich Massenveranstaltungen, die nicht angeordnet waren. Hinsichtlich der Kleidung und des Habitus scheinen diverse Milieus vertreten gewesen zu sein. Alltagskleidung, Freizeitlook, Anzug, Kostüm und Sonntagskleider finden sich in nahezu allen Filmen nebeneinander vertreten.

Sequenz aus OMB Box 004 Rolle 38

Aber auch wenn sehr deutlich wird, dass der Zoo als scheinbar unpolitischer Ort angesehen wurde und man sich durchweg entspannt verhielt, trifft das im Setting des Familienausflugs wohl ebenso auf andere Räume zu. Die Partikularität des Ortes scheint hier weniger mit den Schauobjekten zu tun zu haben, als mit der Privatheit der Situation. Der Besuch war ein familiärer Höhepunkt, der dokumentiert und wie selbstverständlich auch im privaten Erinnerungskanon abgespeichert werden sollte. Zoos gehörten offensichtlich zu einem besonderen und gleichzeitig etablierten Ereignis- und Erlebnisort. Spätestens seit der Einführung der sogenannten billigen Sonntage, mit der sich deutsche Zoos schon während des Kaiserreichs um eine breitere Besucher:innenschar inklusive der Arbeiter:innenschaft bemühten, sollten im Zoo gesellschaftliche Hierarchien nivelliert werden. In der DDR war er explizit ein Ort für alle. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass weit über ein Drittel der 150 Boxen, nämlich 67, Sequenzen aus Zoos aufweisen.

Betriebsausflüge und Gruppenreisen

Ob nun mit dem Lehrer:innenkollegium, der Belegschaft eines VEB oder mit Jugendbrigaden der FDJ, der Ausflug in den Zoo schien die passende Gelegenheit, die Grenzen zwischen privater und öffentlicher Sphäre in einer Weise zu vermengen, die allgemein akzeptabel war. Bezeichnend für die Aufnahmen war hier die Fokussierung auf die Pausen, ob mit mitgebrachtem Butterbrot oder mit der Einkehr in die Wirtschaft, die mindestens genauso Teil des Besuches wurde und in der filmischen Anordnung oft weit mehr Gewicht hatte als die Betrachtung der Tiere. Was eindeutig vermittelt werden sollte, war eine gewisse Ungezwungenheit, die aber weit weniger authentisch erschien als bei dem Familienbesuch. Inwieweit Zoos auch beobachtete Orte waren, lässt sich nicht einfach rekonstruieren. Offenkundig funktionierte hier eine Art Selbstkontrolle, obwohl Zoos im allgemeinen Orte ohne sichtbare Propaganda waren. Auch das hatte sie bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgezeichnet, sieht man einmal von der Einrichtung des „Deutschen Zoos“ innerhalb des Berliner Zoologischen Gartens zur Zeit des Nationalsozialismus und der hier obligatorischen Beflaggung ab.[6] Die systemkennzeichnenden Maßnahmen verliefen sonst eher subtil. Einige Sequenzen zeigen, dass man sich für den Zoobesuch herausputzte, ihm also doch eine gewisse Aura der Exklusivität anhaftete. Uniformen und Kennzeichen der Massenorganisationen sieht man dagegen wenig.

Sequenz aus OMB Box 064 Rolle 43
Sequenz aus OMB Box 057 Rolle 05
Sequenz aus OMB Box 064 Rolle 51

Errungenschaften des Zoos: Offizielle und inoffizielle Taxonomien

Ferner lassen sich Filme identifizieren, die der offiziellen Lesart der Zoos als einem Ort naturkundlicher Wissensvermittlung folgten. Sie unterstrichen den offenkundigen Stolz auf die Vielfalt der dargebotenen Tiere, indem sie möglichst das gesamte Inventar abfilmten und auf das zoomten, was die Zoos herausgestellt haben wollten: Wertvolle Tiere, in einer angenehmen Atmosphäre und – wenn vorhanden – einer großzügigen Landschaft. Insbesondere der Tierpark Berlin-Lichtenberg machte die Weitläufigkeit des Geländes zu seinem Markenkern. Das Besondere sollte vor dem Hintergrund großer grüner Flächen und mit dem Anspruch wissenschaftlicher Expertise und deren Vermittlung präsentiert werden. So verwundert es nicht, dass auch Aufnahmen des 1972 im Tierpark vorübergehend untergebrachten Pandaweibchens Chi Chi im Material zu finden sind. Sie war auf dem Weg aus der Volksrepublik China in den Londoner Zoo. Dieser Erfolg des Zoodirektors Heinrich Dathe, zum ersten Mal in einem deutschen Zoo einen Panda zu zeigen, galt als Beweis für die Überlegenheit ostdeutscher Zoos gegenüber ihren westlichen Pendants in der BRD.[7] Erst 1980 gelang es Bundeskanzler Helmut Schmidt im Rahmen der Ost-West-Annäherungspolitik zwei Pandas, Bao Bao and Tjen Tjen, für den Berliner Zoologischen Garten zu sichern.

Sequenz aus OMB Box 078 Rolle 16

In diesen eher als „offiziell” zu bezeichnenden Filmen, die mitunter einen Schulausflug dokumentierten oder auch Mitarbeitende des Zoos in den Blick nahmen, fällt auf, dass das Augenmerk länger auf dem Tier weilte, und mehr Wert auf Nahaufnahmen gelegt wurde.

Sequenz aus OMB Box 021 Rolle 09
Sequenz aus OMB Box 039 Rolle 13
Sequenz aus OMB Box 099 Rolle 02
Sequenz aus OMB Box 122 Rolle 31
Sequenz aus OMB Box 149 Rolle 10
Sequenz aus OMB Box 103 Rolle 39

Diesen Erzählungen einer gut geordneten Zooumwelt wurde keineswegs in allen Sequenzen entsprochen. So verzichteten gerade jene Filme, die zwischendurch auch viel von der Familie zeigten, auf die taxonomisch bzw. geographische Anordnungen der Spezies, die bis heute Grundlage fast aller Zoos ist. Vielmehr präsentierten sie eher wahllos und kaleidoskopisch abwechselnd Tiere und Menschen. Hierüber wurden durchaus neue und eigenwillige Taxonomien erstellt, aus der sich schließen lässt, was eigentlich von Interesse für die Besucher:innen war und was den zoologischen Gärten bei aller Betonung von wissenschaftlicher Expertise und internationaler Eingebundenheit an Vermittlungsleistungen fehlte.

Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 14
Sequenz aus OMB Box 095 Rolle 18
Sequenz aus OMB Box 103 Rolle 05

Hauptdarsteller:innen oder Nebenprodukt? Die Darstellung von Tieren

Die Tiere des Zoos, die ja eigentlich Herzstücke und Zentren der Einrichtungen darstellen sollen, spielten nämlich keineswegs zwangsläufig die Hauptrollen der Filmaufnahmen. Oft tauchten sie gar nicht auf oder vermittelten eher den Eindruck von Nebendarstellern oder Hintergrundfiguren. Die Tiere, die tatsächlich in den Filmsequenzen erschienen und Platz auf dem Filmmaterial eingeräumt bekamen, bildeten dennoch einen breiten Kanon des Arteninventars zoologischer Gärten ab. Wir finden beispielsweise einzelne Aufnahmen von Zebras, Wisenten, Giraffen, Affen, Schlangen oder einem Tapir. Einige Tiergruppen kamen auffällig oft ins Bild. An erster Stelle standen dabei die Flamingos. Die Stelzvögel schienen die besondere Aufmerksamkeit der Filmenden zu erregen. Flamingos stehen meist still mit charakteristisch angewinkeltem Bein oder schreiten langsam voran und sind so für die Kamera leicht zu verfolgen. Sie funktionierten zudem als rasch zu dechiffrierende Signets für das Exotische. Das mochte nicht nur daran liegen, dass sie durch ihre eigenwillige Physiognomie und ihr helles Gefieder ein eingängiges und kontrastreiches Motiv bildeten, sondern auch daran, dass sie (bis heute) oft in den Eingangsbereichen des Zoos und an offenen Gewässern platziert sind. Diese Anordnung hatte sicher auch die didaktische Aufgabe, bereits früh einen visuellen Aha-Effekt anzustoßen und auf die Exotik des Ortes einzustimmen. Hier gab es kein hohes Gitter, das Kamera und Motiv störend trennte.

Auch Pelikane und Störche gehörten zu den beliebten Aufnahmen der Zoofilme. Außerdem erscheinen häufig Affen in den Sequenzen – dabei wurden sie meist weniger in Bewegung als vielmehr in Gruppensituationen abgebildet. Besonders Affengruppen mit Nachwuchs waren attraktiv für die Filmenden – sie wurden als putzige Ensembles visuell eingefangen, die sich neckten oder zu spielen schienen und damit an Familiensituationen anknüpften. Erstaunlich unterpräsentiert sind in den Sequenzen Menschenaffen – was eventuell daran liegen könnte, dass diese Arten oft in Innenräumen gehalten wurden, in denen die Lichtverhältnisse für filmische Aufnahmen schwierig waren. Amphibische Tiere wie Seehunde, Robben und Kaimane tauchten in den Aufnahmen ebenfalls verhältnismäßig selten auf - möglicherweise nicht zuletzt deshalb, weil sich die Tiere im Wasser wegen der reflektierenden Oberfläche nicht gut abbilden ließen.

Eine Tierart, die hingegen verlässlich in den Sequenzen auftauchte, waren Bären. Auch diese Häufigkeit erklärt sich nicht nur aus der Attraktivität der großen Säugetiere, sondern aus ihrer Anordnung in den Zookulissen. Bären, und besonders die Eisbären, wurden in Zoos oft auf nachgebildeten Felslandschaften in Freigehegen gehalten. Der Blick auf sie erfolgte aus der Perspektive der Betrachtenden dann von unten nach oben. Sie waren auch in der Totalen leicht mit der Kamera und ihre Laufwege mit minimalen Schwenks einzufangen. Insbesondere Leipzigs Bärenburg wurde daher zum immer wieder gefilmten Motiv. Die bereits 1928 gebaute Anlage war wie eine Bühne konzipiert, in der die Tiere zu Schausteller:innen wurden.[8] Ebenso faszinierend waren offenkundig die Rostocker und Berliner Eisbärenanlagen

Sequenz aus OMB Box 009 Rolle 38
Sequenz aus OMB Box 013 Rolle 05

Eine besondere Aufmerksamkeit erhielten Rehe und Hirsche, die zum selbstverständlichen Inventar der Zoos und besonders der Heimtiergärten gehörten. Die Sequenzen aus den Heimtiergärten machen insgesamt sicherlich die Hälfte des betreffenden Filmmaterials aus, das nicht anders gewichtet scheint als das der Zoos. Hier gerieten beispielsweise Wildschweine immer wieder in den Blickpunkt. Dabei schien eine besondere Attraktivität zudem von der physischen Nähe auszugehen – die Betrachtenden kamen dicht an die agilen Tiere heran, filmten den Matsch, in dem sie sich bewegten und ihre eifrige Futtersuche. Damit offenbaren die Bilder, dass eine Vielzahl der gezeigten Tiere eben nicht aus einem fernen Anderswo, sondern aus der näheren Erfahrungswelt kamen. In den Heimtiergärten wurde zudem ein niedrigschwelliges Angebot auch jenseits der größeren urbanen Zentren gemacht. Sie hielten vorrangig Tiere, für die keine spezifische Infrastruktur und Expertise vorgehalten werden musste. So war es kein Wunder, dass die Faszination der Filmer:innen immer wieder bei Tieren lag, die im Allgemeinen als eher profan galten. Dabei gerieten auch Eichhörnchen, die den Zoo zur eigenen Futterversorgung nutzen, zu einem weit verbreiteten Motiv.

Aus heutiger Sicht wirken viele der Aufnahmen trist und beklemmend: traumatisierte Tiere, offenkundig gezeichnet von der Gefangenschaft, zeigten ein hospitalisiertes Verhalten, trotteten getrieben von einem Käfigrand zum anderen oder waren angebunden, etwa um Kunststücke zu zeigen. Auch fahrradfahrende Schimpansen oder bettelnde Bären wurden gefilmt, obwohl der sozialistische Zoo sich eigentlich dieser Art von reißerischer Unterhaltung versagt hatte bzw. in den 1950er Jahren höchstens als „notwendiges Übel zur Wiederbelebung des Betriebs”[9] dulden wollte.

Sequenz aus OMB Box 072 Rolle 24

Orte: Landschaften und Architekturen

Zoologische Gärten sind durch und durch gestaltete Räume. Sie wirken wesentlich über das Design ihres begrenzten Geländes, ihrer Landschaften und Architekturen.[10] Diese Gestaltungen des Raums und seiner Infrastrukturen waren wesentlicher Teil der Filminhalte. Von zentraler Bedeutung waren dabei die Wege, die die Zoos durchzogen und die Besucherströme ordneten. Diese Achsen und Verläufe bildeten eine wesentliche Struktur der Sequenzen. Die Filmenden fokussierten auf blühende Rabatten, Bänke und Spielplätze als Rahmung ihrer Besuche. Aber auch die sich eröffnenden Räume von großflächigen Wiesen oder Teichen tauchten als Motive beständig auf. Die Weitläufigkeit der Weideflächen im Berliner Tiergarten, wo Dromedare oder Antilopen eher als weit entfernte Gruppen denn als Individuen zu erkennen waren, signalisierte die erlebte Großzügigkeit des Zoobesuchs. An den Wasserflächen wurde n nicht nur das hiesige Ufer, sondern auch die gegenüberliegende Seite gezeigt, um das Ausmaß der Anlage zu zeigen.

Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 14
Sequenz aus OMB Box 073 Rolle 03
Sequenz aus OMB Box 053 Rolle 23
Sequenz aus OMB Box 072 Rolle 24
Sequenz aus OMB Box 092 Rolle 10

Quellenwert und Potenziale

Tiergeschichte

Wie wichtig filmische Aufnahmen für die Tiergeschichte sind, da sie das interspezifische Verhältnis tierlicherseits weniger passiv darstellen als Text- und Bildquellen, hat Wiebke Reinert für die Zoogeschichte schon festgehalten.[11] Allerdings ist die zumeist genutzte Quellengrundlage bis dato der von den Zooverantwortlichen hergestellte Werbefilm, der in Ost wie West auch in plauschigen TV-Formaten mündete. Der private Film der Zoobesucher:innen zeigte hingegen, dass die „Populärkultur mit Tieren”[12] zum einen vor allem der eigenen Familiendarstellung diente, die dann mit Tieren gerahmt wurde. Zum anderen bildete sich darin ab, dass die vermeintliche Vermittlung von Natur, die immer wieder als Ziel auch der staatlichen Förderung von Zoos ausgegeben wurde, regelmäßig und regelrecht unterlaufen wurde. Der Zoobesuch muss zudem in die weitere ‚Unterhaltung‘ mit Tieren in der DDR eingegliedert werden. Die Boxen, in denen sich Aufnahmen von Zoos oder anderen Tiergehegen finden, dokumentieren ebenfalls Pferdesport, Kaninchenzucht oder Haustierhaltung. Von daher zeigt sich ein mehrdimensionales Bild, in der die Beziehungen zu Tieren vielgestaltig ausgelebt wurde n . Sie folgten nicht immer den Intentionen der Staatsführung, die eine bestimmte, meist instrumentelle Vorstellung von den interspezifischen Verhältnissen hatte.

Ein spezifisches Potential können die Filmsequenzen als menschlich gestaltete filmische Erzählungen auch als Quellen für die Erkundung des Alltags der Tiere besitzen. Wie bereits erwähnt, legten es die Besucher:innen immer wieder auf eine Kontaktaufnahme und Beziehungsanbahnung an. Elefanten wurden gern entlang ihrer Rüssel abgebildet, wenn sie an den Rändern der Wassergräben ihrer Gehege standen und nach Futter langten, das ihnen das Publikum entgegenstreckte. Große Raubkatzen und Tiger, dabei besonders deren Kinder, tauchten wiederholt schlafend auf, langgestreckt und den Eindruck der Sattheit vermittelnd. Ein Löwenbaby auf dem Arm halten zu dürfen, war zwar nur wenigen Besucher:innen vorbehalten, wurde dann aber entsprechend in Szene gesetzt. Letztlich war dies eine Erweiterung der Streichelzooikonographie, die vor allem ein familiäres Moment einfing.

Sequenz aus OMB Box 013 Rolle 05

Die Tiere waren dabei keineswegs passiv, und sie waren ständig unterschiedlichsten Kommunikationsversuchen ausgesetzt. Aus den einzelnen Bruchstücken der filmischen Beobachtungen können durchaus individuelle Situationen und Bedingungen des Zoolebens der Tiere abgeleitet werden. Sie wurden angefasst, beworfen, angesprochen, gestreichelt oder auf andere Weisen ‘animiert’. Mit den Tieren wurden auch ihre Lebensumstände abgebildet. Neben den Gittern ragen auch Stacheldrähte oder Ketten ins Bild, ihre Käfige, Becken und Volieren. Ihre Unterhaltung oder Arbeit in Gestalt von Fütterungen oder Dressuren wird in den Aufnahmen sichtbar. Zwei Schimpansen wurden, von einem Wärter (dessen Kopf nicht zu sehen ist) an Leinen, Purzelbaum schlagend und Dreirad fahrend, gefilmt.

Sequenz aus OMB Box 072 Rolle 24

Die Momentaufnahmen zeigten ganz unterschiedliche Konstellationen. In dieser Hinsicht war der Zoo ein Ort extrem komprimierter Beziehungen: zwischen Mensch und Mensch, Mensch und Tier – aber eben auch zwischen Tier und Tier. Dieser Blick auf den derart verdichteten Ort wurde von der Tiergeschichte mikrohistorisch als Beziehungsgeschichte gefasst. Er illustriert das gelebte, private Leben, das sich eben auch zwischen den Spezies abspielte.[13]

Sequenz aus OMB Box 073 Rolle 03
Sequenz aus OMB Box 053 Rolle 23

Perspektiven für die DDR- und deutsch-deutsche Forschung

Die Alltagsgeschichte ist von der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahren als wesentliches Element für eine Erweiterung der Perspektive sowohl auf die DDR als auch die deutsch-deutsche und grenzübergreifende Geschichte benannt worden. Die Sammlung privater Filme bietet sich an, „konkrete Akteure, ihre Wahrnehmungen und Praktiken" für die Geschichtsschreibung zu erkunden und sichtbar zu machen.[14] Die Betrachtung der Mikroebene, wie sie sich in dem privaten Filmmaterial zeigt, kann Aufschluss über „gesellschaftliche Basisprozesse" geben, die für eine Sozialgeschichte der DDR so wesentlich sind.[15]

Das Potential des filmischen Quellenkonvoluts, das die Open Memory Box darstellt, liegt in dieser Hinsicht offen zutage: Die Filmschnipsel und längeren Sequenzen, die die Zoobesuche festhielten, erlauben einen Blick auf einen staatlich organisierten, aber dennoch besonderen privaten Erinnerungsort, der sich vermutlich nur wenig von entsprechenden Dokumenten aus der BRD unterscheiden dürfte. Das Filmmaterial bildet zum einen das Normale im Besonderen ab, das der Ausflug in den Tiergarten bedeutete. Zum anderen ist er von Ritualen geprägt, die in einem Zoo in Nürnberg oder Wuppertal ganz ähnlich gewesen sein dürften. Insofern könnten sich entlang der filmisch festgehaltenen Zoobesuche eventuell gemeinsame Repertoires im Freizeitverhalten und Familienbräuchen zeigen. Mit einem Set an vergleichbaren Filmquellen ließen sich also Parallelen zwischen ost- und westdeutschen Zoobesuchen identifizieren. Gleichzeitig könnte es gelingen nach „Unterschieden, Transfers und spezifischen Aneignungsformen"[16] zu schauen.

Das Potential reicht indes durchaus über die deutsch-deutsche Geschichte hinaus. Denn Zoos sind stets auch Einrichtungen mit transnationalen Bezügen und hybriden Arrangements. Zum einen reicht ihre Geschichte weit in das 19. Jahrhundert zurück und basiert auf einem Set kolonialer und globaler Verflechtungen, zum anderen machen ihn die Tiersammlungen aus exotischen und vertrauten Tieren zu einem Allerweltsort par excellence. Vor diesem Hintergrund helfen die Filme auch zu verhindern, einer vorschnellen Exotisierung der DDR zu erliegen und die Verschiedenheiten und Gemeinsamkeiten der Nachkriegsgesellschaften zu dechiffrieren. Denn Zoos und Tiergärten scheinen in den Alltagspraxen als erstaunlich beliebige Orte einer All- und Feiertagskultur, die überraschend ähnliche Erfahrungen in unterschiedlichen Ausformungen evozierten. Die These einer Kompensationsleistung in einem eingegrenzten Land lässt sich hier jedenfalls nicht ohne weiteres stützen. Das sozialistische Versprechen der „Zoos für alle" wurde in der Vielzahl der Einrichtungen in der DDR eingelöst, aber sie stellen nicht zwangsläufig einen Sonderfall des Erlebnisraumes dar. Die beabsichtigte politische Repräsentation, die den Zoos von staatlicher Seite her zugewiesen wurden, spiegelt sich in den privaten Filmen kaum wider. Vielmehr wurden sie als ein Erinnerungsort zwischen anderen wie Urlaubsreisen, Schrebergartenfeste oder Spaziergänge abgebildet, an denen die DDR-Bürger:innen ihren eigenen Zwecken und Interessen folgten.

  alle Beiträge
Up