Die DDR im Schmalfilm Bild

Die Filmfamilie Transnationale Bilder von Gemeinschaft, Geschlecht und Generation in DDR-Schmalfilmen

Down

Die Filmfamilie

Transnationale Bilder von Gemeinschaft, Geschlecht und Generation in DDR-Schmalfilmen

von Sebastian Thalheim

06. Juli 2022

Im öffentlichen Erinnerungsdiskurs werden Familienfilme aus der DDR als Visualisierungen einer „Nischengesellschaft“ eingeordnet, weil sie mit Bilder von Ausflügen, Reisen und Festen nicht Ikonografien der Diktatur, sondern scheinbar den Rückzug ins Private repräsentieren. Jedoch zeugt eine seriell-vergleichende Bildanalyse vom Gegenteil. Erkennbar machten sich SchmalfilmerInnen transnationale Bildpraktiken zunutze, um ihre Familien als funktionierende Gemeinschaft darzustellen.

Wenn man in das Suchfeld der Videoplattform Open Memory Box den Begriff „Familie“ eintippt, erscheinen über 500 markierte Szenen aus 415 Stunden digitaler Schmalfilme der DDR. Umfangreicher nur werden Schlagwörter wie „Kind(er)“, „Reise“ oder „Ausflug“ sein. Dagegen sind „FDJ“ oder „Honecker“ allenfalls einstellig zu finden. Schnell wird klar, dass markante Ikonografien der DDR, wie Aufmärsche am 1. Mai, Deutsch-Sowjetische Freundschaft oder Betriebsarbeit randständig bis unsichtbar sind. Beim ersten kursorischen Überfliegen der Auswahl „Familie“ sind Urlaubsbilder zu erkennen, Aufnahmen im Garten, Feste, Beisammensein zu Tisch und viele Kinderaufnahmen, zwei Drittel davon findet außen statt, was sicherlich der geringen Lichtempfindlichkeit des Filmmaterials geschuldet ist.[1]

Suchergebnis in der OMB nach Schlagwort Familie: Tableau aus Bildern

Was sich hier zunächst offenbart, ist weniger das Bild von Familienalltag in der DDR, sondern der Blick der Produzenten von Open Memory Box auf das Material und wie sie Familie interpretieren. Dieser Blick ist geprägt von normativen Vorstellungen, wie eine Familie auszusehen hat. Entsprachen die Szenen diesen Normen, wurde das Schlagwort „Familie“ vergeben. Hirsch bezeichnet diese Praxis „familial looking“[2]. Dies ist aber auch eine gängige Vorgehensweise historischer Bildforschung, denn WissenschaftlerInnen arbeiten ebenfalls nicht losgelöst von visuellen Diskursen und betrachten mit spezifischen Vorstellungen unbekanntes, anonymes Material. Als wirkmächtige Folge sehen wir Familie, wo vielleicht Familie gar nicht ist, werden Individuen zu einer familialen Einheit verbunden, die vielleicht gar nicht verwandt sind, etwa die Hebamme, die das Baby fürsorglich badet, worin der Forschende dann eine Mutter mit Kind sieht. Gleichzeitig werden Angehörige ausgeschlossen, die diesem Bild widersprechen, etwa wenn homosexuelle Paare nicht als Gemeinschaft erkannt werden. „Familial looking“ wirkt somit inkludierend als auch exkludierend.[3]

Hier greift ein hegemoniales Bildwissen, wie eine „richtige“ Familie idealerweise vor der Kamera auszusehen habe. Auf dieses Bildwissen griffen unbewusst die Produzenten der Open Memory Box zurück. Ironischerweise ist es das gleiche Bildwissen, mit dem die SchmalfilmerInnen ihre Filme gestalteten. Obwohl „Familie“ in der DDR ein widersprüchlicher Begriff war, der sehr unterschiedliche Lebensformen einschloss, verheiratet, unverheiratet, getrennt, geschieden, alleinerziehend, kinderlos, Klein- und Großfamilie, zeugen die Bilder von einer Homogenisierung.[4] Um diese Bildpraxis soll es gehen. Nicht um die DDR-Familie, sondern das Bild von Familie in Schmalfilmen aus der DDR, um die Wirkmacht der Bilder und Schmalfilmkameras, die bei spezifischen Motiven, Handlungen, Posen und personellen Konstellationen die Assoziation von Familie auslösen und was dieser Befund über Gesellschaft und Kultur der DDR aussagt.

Hier muss vorweg mit einem Missverständnis aufgeräumt werden, um Irritationen zu vermeiden. Tauchen wir beim Betrachten der digitalen Bilder in eine private Welt, in die viel beschworene „Nischengesellschaft“ der DDR, die sich dem Sozialismus entzog und einen Raum fern staatlicher Bevormundung schuf, indem das Objektiv auf die eigene Familie und weniger auf das Betriebskollektiv gerichtet wurde? ‒ Die Bilder sind so privat, wie das Selfie auf unserem Smartphone. Ihre medialen Körper mögen sich in privaten Räumen bewegt haben, aber als Bilder waren Familiendarstellungen damals wie Selfies heute Teil visueller Diskurse über das legitim Zeigbare (z.B. Nacktheit). Und diese visuellen Diskurse, um gleich mit einem zweiten Missverständnis aufzuräumen, endeten nicht am Grenzstreifen, sondern waren und sind transnational. Bilder kennen keine räumliche, sondern sozio-kulturelle Grenzen, weswegen „FDJ“ oder „Honecker“ so wenige Treffer ergeben.

Für den Sozialanthropologen Richard Chalfen liegt hier ein Widerspruch. Schmalfilm war zwar ein Massenkommunikationsmittel, die Filme wurden aber nicht für die Masse produziert, sondern für einen kleineren Kreis bekannter Personen.[5] Ähnlich der Diashow können Szenen teilweise unsortiert folgen und sprunghaft wechseln. Die Bilder mussten nicht perfekt sein, so dass Verwackler, unter- und überbelichtete Szenen nicht entfernt wurden, da sie biografische Informationsträger und emotionale Stimulatoren der Erinnerung blieben. Chalfen erklärt das Fehlen populärästhetischer Codes damit, dass sich Filmende und Zuschauende kennen würden und prinzipiell die Bedeutung der Bilder erfassen, weil sie einen ähnlichen Erfahrungsschatz teilten. Somit zählt Chalfen Familienfilm zum „home mode of visual communication“, wo soziokulturelle Konventionen stärker eine Rolle spielen, als technisch-ästhetische Normen.[6]

Trotzdem konstatiert Roger Odin starke thematische Bezüge zur Familienfotografie.[7] Ähnlich dem Fotoalbum wurden wiederholt Zwischentitel eingefügt und motivisch Übergangsrituale wie Hochzeiten, Reisen und Kinder in den Fokus genommen. Schneider begründet dies mit kulturell erlernten, tradierten Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen. Wie der Fotoapparat und das Fotoalbum, wurden auch die Schmalfilmkamera und der Projektor spätestens ab den 1950er Jahren zu wichtigen Technologien der familialen Vergemeinschaftung. Schneider formuliert praxeologisch die These, dass „Familie […] erst aus dem Familienfilm hervor[geht].“[8]

Allerdings ergeben sich technisch bedingt auch Herausforderungen bei der historischen Filmanalyse dieses Mediums. Die Filme sind stumm. Ähnlich der Fotografie leben die Filmbilder von der mündlichen Kommentierung durch Beteiligte.[9] Damit erschließen sich den Forschenden nicht zentrale Bedeutungszuschreibungen. Erschwerend kommt die Anonymität des Bildmaterials hinzu. Bei Open Memory Box sind die Sammlungen nummeriert. „Box 034“ gibt jedoch keine Kontextinformationen über Autor, Zeit, Anlass oder Ort. Mühsam lässt sich zwar einiges aus dem Bildmaterial erschließen, aber Lücken bleiben. Schließlich sind die Bilder sehr stark von Repetition und Stereotypie geprägt, wenn die individuelle Bedeutung fehlt. Das Singuläre, das Besondere suchen HistorikerInnen mühsam aus der Masse an Urlaubs- oder Hochzeitsszenen. Odin formulierte diese Spezifik und dieses Dilemma treffend wie folgt: „Nothing resembles a home movie as much as another one.“[10]

Für HistorikerInnen ist diese Redundanz aber auch eine analytische Chance. Gerade soziale Normen und kulturelle Konventionen lassen sich in vergleichender Analyse besonders deutlich herausarbeiten. Was Bourdieu schon für die Fotografie formulierte, lässt sich auch auf den Schmalfilm übertragen, egal ob aus den USA, der Bundesrepublik oder der DDR: „Nichts darf [gefilmt] werden außer dem, was [gefilmt] werden muß.“[11] Es sind die positiven Momente, die „korrekten Bilder“ von der Familie als Gemeinschaft und Einheit, die sozio-kulturelle Teilhabe ausdrücken.[12]

Wenn aber die Filme stumm bleiben und nur eine beschränkte Auswahl von Anlässen, Orten und Personen gefilmt wurde, drängt sich die serielle, vergleichende Bildanalyse geradezu auf, um Schlüsselbilder herauszuarbeiten und zu analysieren. Hierfür habe ich zehn digitalisierte Schmalfilme der Open Memory Box mehrfach gesichtet, die mit „Familie“ markiert und auf die 1950er bis 1980er Jahre datiert wurden. Während der Sichtungen erstellte ich Sequenzprotokolle, in denen stichpunktartig inhaltliche und ästhetische Merkmale der Sequenzen festgehalten wurden. Anhand dieser Protokolllisten konnten drei analytische Kategorien herausgearbeitet werden, die zentral sind, wenn es um die (De-)Konstruktion des familialen Blicks im DDR-Schmalfilm geht: Gemeinschaft – Geschlecht – Generation.

Diese drei Elemente werden im Folgenden untersucht, ausgehend von der einleitenden Beobachtung, dass die Markierungspraxis von Open Memory Box und die Schmalfilmpraxis der FilmerInnen einen spezifischen Blick auf Gemeinschaft als Familie (re-)produzierten. Es wird den Fragen nachgegangen, welche sozio-kulturellen Konventionen diesen Praktiken zugrunde liegen. Inwiefern spielte der technisch-apparative Umgang mit den Kameras eine Rolle bei der Herstellung dieser Familienbilder? Schließlich, was sagen die Ergebnisse über den Familienfilm in der DDR aus?

Gemeinschaft

Der Schmalfilm zelebriert die familiale Gemeinschaft und verstärkt, folgt man Bourdieus Aussagen zur Familienfotografie, die soziale Bindung von Personen, die im Alltag nicht regelmäßig als Gruppe auftreten oder sich als solche erfahren. Prägnant sind hier insbesondere Feste und Feierlichkeiten, die filmisch festgehalten wurden und damit das Ritual als bedeutsam aufwerteten. In Box 104 Rolle 08 wird ein sechzigster Geburtstag gefeiert. Die Sequenz beginnt mit der Nahaufnahme eines Blumenstraußes, auf dem eine goldene 60 platziert ist. Im Anschluss bekommt eine ältere Frau Blumensträuße von Kindern überreicht. Es folgen Bilder der Gratulation mit herzlichen Umarmungen. Solche Szenen betonen die harmonische Gemeinschaft (OMB Box 104 Rolle 08).[13] Zu Weihnachten sind es Szenen des gemeinsamen Dekorierens, des Entpackens der Geschenke oder zu Silvester das gemeinsame Anstoßen mit Sekt. Dabei machen die Filmenden sich gezielt die Bewegtbildtechnik zunutze, um die Ereignisse auch erkennbar als ritualisierte Feste darzustellen. In Box 104 Rolle 08 werden zunächst ein Kalenderblatt abgerissen, so dass die Ziffer 24 erscheint, und im Anschluss folgt das Schmücken des Weihnachtsbaumes (OMB Box 104 Rolle 08).[14] In Box 140 Rolle 08 springt eine Standuhr mit Stopp-Motion-Trick auf 12 Uhr. Darauf folgt das gemeinsame Anstoßen der Kleinfamilie (OMB Box 140 Rolle 08).[15] Hier werden tradierte Bilder von Weihnachten und Silvester aufgegriffen, um die Feste als familiale Rituale zu zeigen und sie mit dieser Gemeinschaft zu verknüpfen.

Sequenz aus OMB Box 140 Rolle 08

Auch Übergangsrituale erscheinen prominent in den Filmen, insbesondere Hochzeiten. Der Film des Ehepaars Rohrbach betont dies mehrfach (OMB Box 135 Rolle 01).[16] Er ist der einzige Film dieser Box. Die Kameraführung wirkt ruhig, fast professionell. Für die Innenaufnahmen wird eine Lampe genutzt. Beides deutet daraufhin, dass für dieses besondere Ereignis, ähnlich eines Hochzeitsfotografen, ein Filmer beauftragt wurde. Nach der Vermählung wird das Arrangement eines Hochzeitsfotos gefilmt. Eine riesige Ansammlung von über 50 Personen in festlicher Kleidung steht in mehreren Reihen hintereinander. Hier wird nicht das Bild einer Kernfamilie inszeniert, eher einer bäuerlichen Großfamilie, aber die Szene macht eben auch deutlich, wie ein Bildmedium vergemeinschaftet, wie nicht nur das Ritual, sondern auch eine Technologie zum Anlass wird, die Individuen als Gruppe zu konstruieren. Die Kameras stimulierten „togetherness“.[17]

Dies konnte ebenfalls über den Bau des eigenen Hauses transportiert werden. In Box 143 zeigen drei Filme, die der Großvater aufwendig hergestellt hatte, den Hausbau eines Eigenheims. Chronologisch werden Phasen des Hausbaus dargestellt, gelegentlich unterbrochen von kurzen Texttafeln, die eingespielt werden und das Geschehen auf dem Zelluloid kommentieren. Bevor eine weibliche Person Steine verteilt, ein Mädchen ihr hilft und im Hintergrund ein Mann einen Bauplan studiert, ist folgende Texttafel zu lesen: „Hier hantiert Fam[ilie] Fitzner.“ In Kombination mit den Szenen familialisiert der Kommentar die abgebildeten Personen. Auch die symbolhafte Szene der Grundsteinlegung, der der Großvater beiwohnt, betont die Gemeinschaft. Vor der Kamera hat sich die Gruppe versammelt, um eine gebastelte Urkunde in eine Flasche zu schieben, diese in eine offene Stelle des Gewölbes einzulassen und einzubetonieren. Mit dieser abgelichteten Sequenz wird nicht nur ein wichtiger Abschnitt des Hausbaus symbolisch aufgewertet, sondern Familie, Grundsteinlegung und Eigenheim visuell zu einer sinnhaften, sozialen und räumlichen Einheit verbunden (OMB Box 143 Rolle 01).[18]

Neben dem Fest und Übergangsritual gab es noch einen dritten Anlass, der die Vergemeinschaftung bewirkte, der aufgrund des Umfangs hier nur angedeutet werden kann: der Ausflug oder Urlaub. Haldrup und Larsen argumentieren, dass gerade unterwegs, an außeralltäglichen Orten, das Zusammensein inszeniert und die Familie als glückliche Gemeinschaft auf Reisen dargestellt wird: Das Fremde, das Andere ist die Kulisse der reisenden Gruppe.[19] In Box 048 Rolle 11 ist es der Winterausflug in bergiger Schneelandschaft mit Bildern des gemeinsamen Wanderns (OMB Box 048 Rolle 11).[20] In Box 131 Rolle 08 ist es ein Urlaub an die See, das gemeinsame Rudern in einem kleinen Boot und das Baden im Meer (OMB Box 131 Rolle 13).[21]

Sequenz aus OMB Box 143 Rolle 01

Geschlecht

Eine zweite Dynamik in Schmalfilmen ist die Reproduktion normativer Geschlechterrollen. Hirsch argumentiert, dass jeder Blick auf einzelne Mitglieder geprägt ist von der Rolle, die die Betrachtenden und Betrachteten innerhalb des familialen Gefüges spielen: z.B. als Mutter, Ehefrau, Tante, Tochter oder Schwester.[22] Da auch in der DDR meistens Männer die Filmenden waren, ist dies allerdings überwiegend ein männlich geprägter Blick auf Geschlecht. Eine ungewollte Begleiterscheinung dieses Blickes war die visuelle Abwesenheit von Männern vor der Kamera. Dadurch brachte die Bewegtbildtechnologie eine widersprüchliche, soziale Dynamik hervor, die sich parallel auch in westlichen Gesellschaften entwickelte, denn mit der Kamera ergab sich ab den 1950er Jahren für Ehemänner und Väter ein Zugang zum Familienleben über ihre Funktion als Kameramänner. Ihre Aufgabe war es, das Aufwachsen der Kinder und die gemeinsamen Reisen zu dokumentieren. Damit fungierten die Geräte als Scharnier ihrer neuen sozialen Rolle als anwesende Väter. Allerdings blieben sie durch die Hauptaufgabe als Filmer visuell weitgehend abwesend.[23]

Das Dilemma des abwesenden Vaters zeigt sich etwa bei Box 048 Rolle 11, ein fünfminütiger Farbfilm aus den 1970er Jahren, der den Ausflug einer Kleinfamilie mit zwei Kindern in einer verschneiten, bergigen Landschaft, vermutlich dem Thüringer Wald, festhält (OMB Box 048 Rolle 11).[24] Die Bilder sind mit Ausnahme einiger kurzer Landschaftsaufnahmen stark redundant: ein Kind fährt mit Langlaufskiern einen Wanderweg entlang, während in gewissem Abstand eine erwachsene Frau und ein Junge im jugendlichen Alter zu Fuß folgen. Erst in der vorletzten Szene wechselt die Kameraposition: Kurz läuft der Jugendliche an der Seite eines erwachsenen Mannes, während das Kind weiter Skier fährt. Visuell verbrachten also Mutter und Kinder den Ausflug größtenteils ohne Vater.

Auch in Box 053 Rolle 24 bleibt der Vater unsichtbar, allerdings ist aus den Motiven zu vermuten, dass er filmte und die Frau als Mutter prominent machte. Der dreieinhalbminütige Schwarz-Weiß Film aus den frühen 1960er Jahren zeigt zunächst noch den Ausflug einer jungen Frau in den Zoo. Doch etwa bei der Hälfte der Rolle wird eine Tafel eingeblendet, die die Geburt der Tochter verrät: „Liane 14.2.1963 Güte Q“. Im Anschluss ist eine Szene zu sehen, in der eine junge Frau ein nacktes, liegendes Baby pudert. Eine weitere Frau mit Kleinkind ist im Hintergrund zu erkennen. Dieses Kleinkind nähert sich dem liegenden Baby und berührt es neugierig. In einer Nahaufnahme wird das schreiende Baby porträtiert. Schließlich präpariert die junge Frau eine Milchflasche und stillt damit das auf ihrem Arm liegende Baby, das zunehmend zufrieden wirkt (OMB Box 053 Rolle 24).[25] Diese Bilder der Fürsorge, obwohl der Mann anwesend war, blieben durch die Kamerakonstellation rein weiblich konnotiert.

Sequenz aus OMB Box 053 Rolle 24

Solche Care-Bilder finden sich auch in anderen Filmen. Es sind Aufnahmen, die Frauen im liebevollen, helfenden Umgang mit Kindern zeigen. In Box 055 Rolle 11, ein Film über eine Wanderung im Thüringer Wald, hilft eine Frau einem kleinen Mädchen beim Urinieren. Am Wegesrand hält sie das Kind leicht gehoben über dem Boden, während dieses sein Geschäft erledigen kann (OMB Box 055 Rolle 11).[26] In Box 104 Rolle 08, einem Farbfilm aus den 1960er Jahren, wurden die Weihnachts- und Silvestertage aufgenommen. Hier ist es die Frau, die den jungen noch schlafenden Sohn am Bett aufsucht und mit einem Kuss auf die Stirn weckt. Etwas später, vermutlich am Abend, wird gefilmt, wie sie denselben Jungen wieder ins Bett bringt, zudeckt und zwei Küsse auf die Wangen gibt (OMB Box 104 Rolle 08).[27] Der männliche Blick reproduziert die Frau als fürsorgende Mutter.

Dieser Blick stellt mit Bildern der Hausarbeit auch die weibliche Rolle als Hausfrau her. So steht sie in der Küche und übergießt einen Braten mit einer Flüssigkeit. Während zweier Sequenzen am Essenstisch, einmal ein Abendessen, ein zweites Mal zu Kaffee und Kuchen, sitzt sie neben ihrem essenden Sohn und trägt eine Schürze, ein vestimärer Indikator ihrer Küchenarbeit (OMB Box 104 Rolle 08).[28]

Sequenz aus OMB Box 104 Rolle 08

Auch in Box 037 Rolle 17, einem zweieinhalbminütigen Farbfilm über die Geburtstagsfeier einer Großmutter im Garten, sind diese Darstellungsweisen wiederzufinden. Während eine ältere Frau den Geburtstagstisch mit Tischdecke, Blumensträußen, Vasen und Geschenken auf einer Terrasse aufbaut, sind Kinder und Männer im Hintergrund dabei, sich mit einem Luftgewehr und Zielscheiben zu vergnügen. Das eigentliche Beisammensein zu Tische wird nur kurz gefilmt, doch im Anschluss sind eine ältere Frau mit grauer Schürze und eine jüngere Frau im Badeanzug beim Abwasch zu sehen (OMB Box 037 Rolle 17).[29] Desgleichen zeigt der Hochzeitsfilm des Ehepaars Rohrbach aus Sachsen vom 18. Februar 1961 nicht nur Aufnahmen vom Hochzeitssaal, sondern auch eine Sequenz in einer Küche, wo mehrere ältere Frauen aufwendig Kuchenteller dekorieren (OMB Box 135 Rolle 01).[30] In dem Weihnachtsfilm Box 140 Rolle 08 packt die Tochter bei der Bescherung das Kochbuch „Wir kochen gut“ aus (OMB Box 140 Rolle 08).[31] Die Küche ist die Sphäre der Frau vermitteln diese Bilder und verfestigen die Rolle der Hausfrau. Zu diesem gehörte jedoch auch die aktive Teilnahme an den Bauarbeiten des Eigenheims. In einer aufwendigen, fast anderthalbstündigen Trilogie filmte Mitte der 1970er Jahre ein Großvater chronologisch verschiedene Phasen eines Hausbaus. Zu sehen sind nicht nur männliche Arbeit, sondern auch zwei Frauen beim Steinehacken, Kies schippen, Ziegel tragen oder Teeren der Außenwände des Kellers. Während im ersten Teil eine der Frauen mit einer Schippe Beton über eine Bodenfläche verteilt, blendet ein Zwischentitel ein: „Da stand die Baufrau … und jetzt wird fleißig gemauert.“ (OMB Box 143 Rolle 01)[32]

Damit tritt ein weiterer Aspekt der Schmalfilme hervor, der bei serieller Betrachtung ins Auge fällt. Die stereotypen Darstellungen von Geschlechterrollen konnten immer wieder gebrochen werden. Die abgelichteten Frauen waren keinesfalls nur Objekte männlicher Kameraführung, sondern auch Subjekte durch bewusste Steuerung ihrer Selbstdarstellung. Schneider bezeichnet dies als „performatives Posieren“[33], demnach durch Körperhaltungen im Film Geschlechteridentitäten repräsentiert werden, diese aber auch eigensinnig zugespitzt oder gebrochen werden können. Zwar wurde das Bild der fleißigen Hausfrau und fürsorglichen Mutter insbesondere durch den spezifischen männlichen Blick auf Weiblichkeit ergänzt durch die Inszenierung als Sexobjekt, doch in Box 131 Rolle 13 wird dieser Blick auch zu eigen gemacht. Der Farbfilm zeigt den Bootsausflug einer Kleinfamilie mit zwei Kindern. Während die Tochter rudert, sitzen hinter ihr der Bruder und ihr Vater, der sich eine Zigarette anzündet und raucht. Wenig später wechselt die Perspektive. Nun filmt der Vater. Der rudernde Sohn ist nur angeschnitten. Die Frau sitzt am Bootsende in sommerlicher Kleidung und wirkt in Gedanken. Mit einem Zoom fährt die Kameralinse langsam auf ihren Busen, dessen Rundungen sich unter dem weißen Stoff abzeichnen. Anschließend fährt der Kamerazoom wieder zurück. Nun drückt die Frau ihr Kreuz durch, holt ihren Oberkörper nach vorne und lacht mit nach rechts geneigtem Kopf in die Kamera. Wieder zoomt die Kamera auf ihren Busen. Innerhalb dieser Szene wandelte sich die Frau aktiv vom Objekt zum Subjekt, indem sie sich mit ihrer Körperpose zwar weiterhin als Objekt männlicher Begierde inszenierte, aber eigensinnig entschied, welche Haltung sie hierfür einnimmt (OMB Box 131 Rolle 13). [34] Hierbei wurde intuitiv auch auf transnationales Bildwissen erotischer Posen zurückgegriffen.

Sequenz aus OMB Box 131 Rolle 13

Somit zeigt sich auch, dass Frauen kleine Spielräume vor der Kamera hatten, aktiv das Bild mitzugestalten, das sie von sich zeigen und sehen wollten. Während in Box 37 Rolle 17 überwiegend Männer und Kinder mit dem Luftgewehr auf eine Zielscheibe feuerten, zeigen kurze Ausschnitte auch Frauen dabei, wie sie mit dem Gewehr hantieren. Dieser Aufnahme hätten sie sich durchaus verweigern können (OMB Box 037 Rolle 17).[35]

Sequenz aus OMB Box 037 Rolle 17

Somit reproduzierte zwar durch sozio-kulturelle und apparative Rahmungen der männliche Blick im Familienkontext ein stereotypes Rollenbild der Frau, aber durch subjektive Brechungen erscheint dieses Bild wesentlich differenzierter als jenes vom Mann. Die ausgewählten Filmrollen zeigen auch, inwiefern die Kameras bei der Herstellung der Geschlechterrollen involviert waren. Indem Motive vom Stillen aufgegriffen wurden, Posen den weiblichen Körper betonten und Hausarbeiten wie Abwasch dargestellt wurden, partizipierten Kameras und Filme an der Maternalisierung, Domestizierung und Erotisierung des weiblichen Geschlechts. Gleichzeitig trug eine gewisse Entscheidungsfreiheit, wie Frauen gefilmt werden wollten zur Subjektivierung als selbstentscheidende, unabhängige Personen bei. Diese widersprüchlichen Rollenbilder adaptierten jedoch nicht das Ideal der „sozialistischen Frau“, sondern reproduzierten transnationale Stereotype.

Generation

Kennzeichnend für die Schmalfilme ist auch die Identifikation von generationellen Rollen innerhalb des familialen Gefüges. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn Erwachsene und Kinder vor der Kamera interagieren und Letztere eine bestimmte Spontaneität erkennen lassen, die von den Filmenden als störend wahrgenommen wird. Bei Wanderaufnahmen in der Gegend von Röttersdorf hilft vermutlich die Mutter ihrem energiegeladenen Jungen, den Gürtel festzuziehen. Dabei umklammert sie ihn etwas, um ihn festzuhalten. Er entzieht sich der Umarmung und läuft winkend auf die Kamera zu, doch bevor er diese erreicht, bricht die Aufnahme ab (OMB Box 055 Rolle 11). Im Anschluss geht der Junge auf einem Feldweg wieder auf die Kamera zu, versucht aber, obwohl ihn ein weiteres Kind aus dem Bild ziehen will, in der Kadrage zu bleiben. Die Aufnahme zoomt an ihm vorbei auf eine Gruppe Wanderer im Hintergrund. Im Anschluss springt er ins Bild vor ein Mädchen, dem beim Urinieren geholfen wird (OMB Box 055 Rolle 11).[36] Einerseits drückt sich in Bildern des Angekleidetwerden und Urinieren die Machtposition der Erwachsenen, denn Kinder werden in Posen abgelichtet, in denen Erwachsene nicht gezeigt werden. Andererseits kann das Kind gelegentlich als eigensinniger Akteur agieren, das den Bildvorstellungen widerspricht, so dass nur ein Filmabbruch oder Zoom als ultimatives Instrument bleibt, um dem Kind die gestalterische Machtposition wieder zu entziehen.

Sequenz aus OMB Box 055 Rolle 11

Derselbe Wanderfilm zeigt auch Erwachsene als Autorität im Umgang mit Kindern durch Anweisungen, die aus dem Hintergrund gerufen werden. Es ist vermutlich 1990, denn die Familie spaziert entlang des offenen Grenzstreifens. Auf einer Wiese oberhalb eines Berges steht ein Grenzturm. Vier Kinder rennen darauf zu, bis sie bei der Tür angekommen sind, auf der „[undeutlich] verboten“ zu identifizieren ist. Die Kameraperson steht etwas entfernt und zoomt auf das Geschehen. Erkennbar an den Reaktionen der Kinder, die plötzlich fast zeitgleich ihre Köpfe zur Kamera drehen, werden sie zurückgerufen, denn im Anschluss bewegen sie sich schnell vom Turm weg.

In Box 033 Rolle 20 verlässt eine größere Gruppe ein Einfamilienhaus, um sich für ein Foto gemeinsam aufzustellen. Unter anderem helfen zwei ältere Frauen einem kleinen Mädchen beim Laufen, das noch Unsicherheiten beim Gehen zeigt. Als sie vor der Kamera stehen bleiben, fordert eine der Frauen das Kleinkind zum Winken auf. Nachdem dieses nicht Folge leistet, nimmt sie den Arm des Mädchens und schlenkert ihn, damit sie trotzdem winkt (OMB Box 033 Rolle 20).[37]

In Box 104 Rolle 08 findet sich eine Reihe von Szenen, die die Autorität der Eltern gegenüber dem Kinde ebenfalls vor der Kamera betonen. So ist zunächst eine kurze Szene zu sehen, in der ein Junge vermutlich Schularbeiten erledigt, denn er sitzt an einem Tisch vor einem aufgeklappten Buch und scheint daraus etwas abzuschreiben. Die Mutter ist zur linken Seite leicht über ihn gebeugt, weist mit dem Zeigefinger auf eine Stelle im Buch und schaut dann, noch gebeugter über seiner Schulter auf dessen Schreibarbeit (OMB Box 104 Rolle 08). Kurz vor Ende des Farbfilms wird der Geburtstag des Jungen gefeiert. Im Hintergrund ist ein gedeckter Geburtstagstisch zu erkennen, während die Mutter ihm im Vordergrund gratuliert. Dabei hebt sie gleichzeitig ihre linke Hand mit gestrecktem Zeigefinger und schwingt diesen vor dem Kind, so dass ein paar mahnende Worte zu vermuten sind (OMB Box 104 Rolle 08).[38] Die Kamera im Akt des Filmens stimulierte somit Posen, die die intergenerationellen Hierarchien herstellten.

Sequenz aus OMB Box 104 Rolle 08

Diese unterschiedliche Repräsentation der Generationen spiegelt sich auch in der Romantisierung von Kindheit. Derselbe Film zeigt eingangs den Jungen noch schlafend im Bett, ein typisches Motiv von idealisierter Kindheit (OMB Box 104 Rolle 08). Dazu passen auch Szenen des Spielens. In Box 037 Rolle 17, jenem Film über einen Geburtstag im Garten, sind Kinder beim Schaukeln zu sehen, beim Streicheln eines Meerschweinchens oder nackt beim Planschen in einem Wasserbecken (OMB Box 037 Rolle 17).[39] Es sind Szenen, die abseits der Erwachsenen entstehen. Schneider argumentiert, dass solche Aufnahmen Reminiszenzen an die eigene, längst vergangene und teilweise vergessene Kindheit der Filmenden seien, die durch diese stereotypen Bilder wiedererlebt würden.[40] In jedem Fall würden Erwachsene in dieser Form nicht gezeigt werden.

Sowohl die Schlafszene als auch die Gartenaufnahmen verdeutlichen darüber hinaus die räumliche Trennung bei der Herstellung intergenerationeller Machtstrukturen. Unterschiedlichen Generationen sind spezifische Orte zugeschrieben. Während das Schlafzimmer der Eltern unsichtbar bleibt, wird der schlafende Junge im Kinderzimmer gefilmt. Auch die Hochzeitsaufnahmen in Box 057 Rolle 08 zeugen von dieser räumlichen Separierung. Die Innenaufnahmen zeigen einen gedeckten großen Essenstisch, an dem prominent das Brautpaar und die Gäste sitzen. In einer kurzen Zwischenaufnahme sind vier Kinder an einem separierten, niedrigen Tisch zu sehen, vermutlich sogar in einem anderen Raum (OMB Box 057 Rolle 08).[41] Auch bei den Bauarbeiten des Eigenheims von Familie Fitzner sind es die Erwachsenen, die bei handwerklichen Arbeiten zu sehen sind, während sich die zwei Töchter meist abseits der Baustelle spielend beschäftigen. Visuell zeigen sich dadurch Kindheit und Erwachsensein als getrennte Sphären (OMB Box 143 Rolle 01).[42]

Dieser erwachsene Blick, der durch die Kamera die intergenerationelle Machtkonstellation herstellt, wird auch an einem letzten Beispiel deutlich: der Darstellung von kindlicher Nacktheit. Anders als der männliche Blick den weiblichen Körper erotisiert und eventuell die erwachsene Frau durch Posen darauf reagiert, zeigt sich bei der Visualisierung von Kindern eine Entsexualisierung. Ihre Körper- und Geschlechtsteile werden nicht explizit gefilmt, auch posiert das Kind nicht. Während der Vater vorher noch auf die Brüste seiner Frau gezoomt hatte, sitzt die Familie anschließend nackt am Strand. Hier filmt der Vater in einer Totalen, wie die Kinder nackt ins Wasser gehen, ohne wieder den Zoom als Instrument eines spezifischen Blicks zu nutzen (OMB Box 131 Rolle 13).[43]

Somit stellen der Einsatz von Kamera und Anweisungen der Filmenden eine intergenerationelle Trennung zwischen Kindern und Erwachsenen her, einerseits durch Szenen, die von der mütterlichen Fürsorge oder der Autorität der Erwachsenen gekennzeichnet sind, andererseits, indem Kindheit als entsexualisierte und idealisierte Lebensphase romantisiert wird, die allenfalls durch eigensinniges Verhalten vor der Kamera gebrochen wird. Was in diesen Bildern jedoch fehlt, ist die Repräsentation von institutionalisierter Kindheit, denn die Kinder bewegen sich ausschließlich in einem familialen Kontext. Damit unterscheiden sich die Aufnahmen aber kaum von tradierten Aufnahmen aus Fotoalben oder zeitgleichen Schmalfilmbildern aus westlichen Gesellschaften. Vielmehr verstärken auch diese den Eindruck, dass in Schmalfilmen aus der DDR transnationale Ideale von Generation reproduziert wurden.

Fazit

KritikerInnen dieses Aufsatzes und ExpertInnen des Schmalfilms werden nun monieren, dass diese Untersuchung wenig neue Erkenntnisse über Familienfilm liefert. Sämtliche Aussagen sind schon von anderen ForscherInnen über 8 mm- und Super 8-Filme westlicher Gesellschaften getroffen worden. Das stimmt. Dem sei aber entgegnet, dass genau das neue Erkenntnisse über Schmalfilme aus der DDR sind: In der DDR waren seit den späten 1950er Jahren Bewegtbildapparaturen Teil familialer Praktiken. Dabei war die Schmalfilmtechnologie kein neutrales Aufzeichnungsmedium, lichtete nicht objektiv das Geschehen vor der Linse ab, sondern war Teil eines Konstruktionsprozesses von Familie, der heutzutage sozio-kulturelle Normen sichtbar macht. Dass immer wieder ähnliche Anlässe gefilmt wurden, spricht dafür, dass hier keineswegs zufällig gehandelt wurde, sondern in den bewegten Familienbildern aus der DDR sich transnationale Ideale von Familie artikulieren, die zeitgleich auch in anderen Gesellschaften sinnstiftend waren.

Die Geräte kamen gezielt zum Einsatz, um Bilder der Gemeinschaft zu erzeugen. Gerade durch die stereotypen Bilder von Generation und Geschlecht konnten sich die Individuen als Bestandteile einer Familie erfahren. Die Geräte und Filme waren in die Familialisierung der Akteure in der DDR involviert. Gleichzeitig blieb der Staatssozialismus in den Filmen als gesellschaftlicher Rahmen eine Randnotiz, denn die Aufnahmen fanden im Garten, im Wohnzimmer, auf dem Wanderweg oder an der See statt. Es sind keine ikonografischen Orte der DDR. Die Familien der DDR inszenierten sich genau dort, wo eben nicht die Mai-Paraden oder die Betriebsversammlungen stattfanden. Nicht der Betrieb wurde als Gemeinschaft dargestellt, sondern die Familie.

Daneben machten die untersuchten Filme auch den sozialen Status einiger Familien sichtbar und verweisen auf die gesellschaftliche Differenzierung in der DDR. In Box 104 Rolle 08 wird zu Weihnachten westdeutscher Sekt getrunken, mit Orangen vor der Kamera hantiert, ein Tonbandgerät und schließlich ein Fernseher in den Fokus genommen. Derlei Aufnahmen entstanden nicht zufällig bei einem Schwenk, sondern die Objekte wurden explizit gefilmt und damit besonders hervorgehoben. Solche Waren hatte nicht jeder und vor der Kamera konnte sich die Familie in Beziehung setzen zu den Dingen, ihre Gemeinschaft visuell aufwerten und sozial abgrenzen, intensiviert noch durch die technisch-apparative Möglichkeit das singuläre Ereignis wiederholt zu projizieren.

Damit erklärt sich auch die Wirkmacht der Filme bis heute. Indem diese Bilder transnationale Ideale von Familie reproduzierten, scheint ihnen das DDR-spezifische zu fehlen. Diese Erkenntnis ist jedoch fraglich, wenn sie von einem Mangel der Bildquelle ausgeht, denn sie lässt sich ebenso anders formulieren: Auch im Staatssozialismus waren Menschen in der Position, mit modernen Bewegtbildtechnologien ihre Gemeinschaft zu familialisieren, mit dem Widerspruch, dass der staatliche Gestaltungsanspruch unsichtbar wurde. Die Filme haben nach 1990 damit einen doppelten Erinnerungswert für die Familien bekommen, indem sie einerseits an vergangene Ereignisse dieser individuellen Gruppe erinnern und andererseits, indem sie ein bedeutungsvolles, dem Westen ebenbürtiges Familienleben zeigen, das im Kontext der Erinnerungspolitik oft als Alltagsleben in der Diktatur problematisiert wurde.

Wie relevant hier der offene Zugang zu dem Material durch die Open Memory Box ist, um einer öffentlichen Verklärung dieser Bilder zuvorzukommen, zeigt der Einsatz von vergleichbarem Material als „authentische“ Quellen bei jüngeren TV-Dokumentationen über das Leben in der DDR. Die Doku-Reihe „Wie die DDR wirklich war“ (2017) will das Alltagsleben der Menschen in der DDR anhand von Schmalfilmen zeigen. Im Intro der Mini-Serie fährt die Kamera auf eine Wohnungstür zu und dann durch ein Schlüsselloch, bis ein Schmalfilm zu erkennen ist. Hier wird der Schmalfilm zu etwas Geheimen, Abgesonderten inszeniert und damit das Bild der „Nischengesellschaft“ reproduziert, demnach sich die Menschen ins Private zurückzogen und so mit der Diktatur arrangierten. In der ZDF-Dokumentation „Wir bauen auf! Privatfilme aus der Nachkriegszeit“ (2020) sehen wir die Urlaubsfilme eines westdeutschen Unternehmerpaars der 1950er Jahre in Italien und auf Kuba. Hier erzählen die Bilder vom wirtschaftlichen Aufstieg in der jungen Bundesrepublik. Für die DDR wiederum sprechen Aufnahmen einer 1. Mai-Parade des Amateurfilmclubs VEB Carl Zeiss Jena, als würden „private“ Schmalfilme in der DDR von staatlichen Betriebsclubs stammen und nur gefilmt, was „politisch auf Linie“ war, wie der Autor die Bilder kommentiert. So kontextualisiert, tragen die Schmalfilme weiterhin zu einer Banalisierung des Alltagslebens in der DDR bei, indem dieses überpolitisiert wird, entweder durch den pornografischen Blick hinter die Kulissen in den privaten Schrebergarten der Diktatur oder vor die Kulissen, wo Bilder einzig politischen Aufträgen folgten, als würden Familienväter ihre Kinder ausschließlich in FDJ-Uniformen filmen. Der vorliegende Aufsatz mithilfe der seriell-vergleichenden Bildanalyse von Schmalfilmen der Open-Memory-Box hat gezeigt, dass der DDR-Schmalfilm mit seinen transnationalen Familiendarstellungen wesentlich differenzierter zu betrachten ist.

  alle Beiträge
Up