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Kleidung und Mode in der DDR

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Kleidung und Mode in der DDR

von Prof. Dr. Kristin Hahn

26. Juli 2022

Die Kleidungs- und Modegeschichte der ehemaligen DDR unterliegt bis heute zahlreichen Stereotypen, die im historischen wie gegenwärtigen kollektiven Gedächtnis fest verankert sind. Die Wahl der Quellenformate zur Rekonstruktion historischer als auch gegenwärtiger Lebenswelten spielen dabei eine zentrale Rolle. In diesem Zusammenhang werden die Möglichkeiten des Quellenfundus Film zur Erforschung von Kleidung und Mode in der ehemaligen DDR untersucht.

Quellenformate in der historischen Kleidungsforschung

Die Kleidungs- und Modegeschichte der ehemaligen DDR gilt im öffentlichen Diskurs seit Jahrzehnten als stigmatisiert sowie stereotypisch konnotiert. Auch zahlreiche wissenschaftliche Aufarbeitungen differenzieren das facettenreiche System der Kleidung und Mode in der ehemaligen DDR nicht ausreichend, sondern untersuchen die Thematik im Spannungsfeld mit dem politischen Einfluss des SED-Regimes. Dabei entstanden politisch geprägte Begrifflichkeiten und stereotype Verallgemeinerungen zum Kleidungsverhalten der ehemaligen DDR-Bevölkerung. Die Perspektive der eigentlichen Akteur_innen wird nur marginal berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund rückte in der Wissenschaft zunehmend die Frage nach einem geeigneten Quellenformat zur umfassenden und ganzheitlichen Aufarbeitung der DDR-Kleidungs- und Modegeschichte in den Fokus. Als visuelles und von Menschen für Menschen geschaffenes Phänomen gilt es, die Mode vielschichtig zu betrachten – vielschichtig auch im Hinblick auf die Auswahl an Quellen. Auffällig dabei ist, dass insbesondere Forschungen, die auf Aktenmaterialien und auf schriftlich vorliegenden historischen Quellen basieren, eine Tendenz zu einseitigen Darstellungen mit besonderem Bezug zum politischen System aufweisen. Auch vereinzelte Interviews und Befragungen verlieren in diesem Zusammenhang ihr Gewicht. Vor diesem Hintergrund erwies sich die Methodik der Oral History[1] als geeignete Methode, neue Erkenntnisse und Perspektiven in der (historischen) Kleidungsforschung zu generieren, da auf diesem Weg direkt die Perspektive der tatsächlichen Akteure mit einbezogen wird. An dieser Stelle ist vor allem die Sicht von ehemalig in der DDR-Mode/ Kleidungsindustrie tätigen Expert_innen hervorzuheben, die einen bislang unbekannten und detailreichen Einblick in die Prozesse der Entstehung und Produktion von Kleidung in der DDR ermöglichten. Hierzu zählen neben Modegestalter_innen auch Näher_innen aus ehemaligen DDR-Betrieben, Modejournalist_innen sowie ehemalige Angestellte in politischen/ staatlichen Institutionen, die unmittelbar auf verschiedenen Ebenen mit der Kleidungsproduktion verbunden waren. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit Zeitzeug_innen kann zudem ein aktiver Austausch und reflexiver Diskurs zur Thematik sowie der Zugriff auf bislang privat gehaltene Archivmaterialien ermöglicht werden. Im Kontext der Verbindung von erinnertem und schriftlich dokumentiertem Wissen konnten somit neue Perspektiven in der historischen Aufarbeitung des Modesystems der ehemaligen DDR generiert werden, Stigmata entkräftet sowie neue Thesen aufgestellt werden.[2] In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten des Quellenfundus Film zur Erforschung von Kleidung und Mode in der ehemaligen DDR: Der Film als visuell dokumentiertes (historisches) Wissen. Im Folgenden soll erörtert werden, inwieweit das Material für die historische Kleidungsforschung trägt.

Kleidung und Mode – Zwei Begriffe, zwei Bedeutungshorizonte

In der (historischen) Kleidungsforschung ist ein differenzierter und sensibler Umgang mit den Begrifflichkeiten Kleidung und Mode von essenzieller Bedeutung. Um Mode(geschichte) aufarbeiten zu können, muss man verstehen, wie sie (Mode) funktioniert. Dies spiegelt sich unmittelbar in der Etymologie und Bedeutung der Begriffe wider. Insbesondere im Kontext der Aufarbeitung der DDR-Kleidungs- und Modegeschichte ist es notwendig, zunächst einige modetheoretische Gesamtüberlegungen voranzustellen. Im Rahmen der Untersuchung der Tragweite des Schmalfilm-Quellenformats für die historische Kleidungsforschung gilt es somit zunächst die Verknüpfung spezifischer Schlagworte mit entsprechenden Filmsequenzen des Schmalfilm-Fundus zu prüfen. In diesem Zusammenhang wird zum einen das Schlagwort Kleidung (auch Verkleidung) und zum anderen das Schlagwort Mode (auch Modenschau) verwendet. Nach welchen inhaltlichen Kriterien die Schlagwortbesetzung erfolgte, bleibt jedoch unklar. Doch was bedeutet eigentlich Mode bzw. ab wann ist Kleidung Mode und wie wird zwischen den Begrifflichkeiten unterschieden (bzw. wird es das überhaupt)? Obgleich die Bedeutung der Begrifflichkeiten sehr individuell geprägt sein kann, gibt es einige zentrale Kriterien, die jeweils entscheidend zugeordnet werden können. Kleidung zählt zu den Grundbedürfnissen der Menschen: Sie bietet Schutz sowie Sicherheit und gilt als zentrales Identifikationsmittel im Hinblick auf Herkunft, Kultur, Tradition, Werte- und Gesellschaftssystem als auch Emotionen. Als Objektkultur erzählt sie nicht nur Geschichten und Geschichte, sondern hält eine bedeutende Beziehung zu ihren Träger_innen. Symbolisch betrachtet wohnt dem Begriff Kleidung ein Moment der Langlebigkeit und Beständigkeit inne. Das Phänomen der Mode ist dagegen durch permanenten und schnellen Wandel charakterisiert. Der Begriff ist im Gegenteil zur Kleidung weniger stark objektbezogen, sondern durch den Wert der Symbolik gekennzeichnet. Mode ist schwer zu fassen – was heute Mode ist, kann morgen Kleidung sein.

Einblick in private Räume – Einblick in alltägliches Kleidungsverhalten: Die Selbstschneiderei

Kaum ein anderer Bereich lässt sich mit dem Quellenfundus Schmalfilm so gut erforschen und visuell nachempfinden, wie die Kleidungspraktiken und –Kultur um die Selbstschneiderei in der ehemaligen DDR. Dies ist vordergründig mit der Tatsache zu erklären, dass die Selbstschneiderei eine (oftmals) im privaten Bereich gepflegte Kultur war, die in weiten Teilen der damaligen DDR-Bevölkerung praktiziert wurde. Dies bestätigt sich auch anhand der verhältnismäßig hohen Anzahl an existierenden Filmsequenzen, die Praktiken rund um das Schneidern in häuslichen Umgebungen zeigen. Die Quelle Schmalfilm eignet sich hierbei deswegen besonders, da diese unmittelbar einen Einblick in das private Leben der ehemaligen DDR-Bevölkerung ermöglicht. Zwei Beispiele sind hierbei signifikant:

Sequenz aus OMB Box 136 Rolle 42. Selber nähen nach Schnittmuster

Die Filmsequenz zeigt ein exemplarisches Beispiel der Praktik des Selbstschneiderns. Zahlreiche DDR-Haushalte verfügten über Nähmaschinen, oftmals aus altem Bestand der Marken Singer oder Pfaff. Darüber hinaus etablierte sich die DDR mit eigener Produktion des Nähmaschinenmodells Veritas im VEB (Volkseigener Betrieb) Nähmaschinenwerk in Wittenberg zu Europas größtem Nähmaschinenhersteller. Als Grundlage für die Selbstschneiderei dienten neben Nähkenntnissen, die bereits in der Schule vermittelt oder auch in der Familie weitergegeben wurden, detaillierte Schnitt- und Nährvorlagen. Solche Vorlagen sind auch in dem genannten Filmausschnitt erkennbar. Mustervorlagen waren in zahlreichen Zeitschriften in der DDR enthalten, zum Beispiel den Zeitschriften Sibylle und Pramo. Einfach verständlich erklärt konnten auf diesem Weg Modelle, die im Handel nicht verfügbar waren oder dem persönlichen Kleidungsstil eine individuelle Note verleihen sollten, nachgenäht werden. Besonders häufig wurde die Selbstschneiderei für die Herstellung von Kleidung für besondere Ereignisse genutzt. In dem genannten Filmausschnitt wird ein Modell für den Anlass Fasching genäht.

Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 07. Jugendweihe

Der Filmausschnitt zeigt ein weiteres Beispiel, bei der die Praktik der Selbstschneiderei zum Tragen kam. Für den besonderen Anlass der Jugendweihe griffen zahlreiche DDR-Haushalte selbst zu Nadel und Faden, um individuelle festliche Kleider herzustellen, die im konventionellen Handel nicht verfügbar waren. Die Auswahl des modischen Angebots im herkömmlichen DDR-Handel, hier ist insbesondere das Kaufhaus Konsum zu nennen, war, nicht nur für besondere Ereignisse, sondern auch im Bereich Alltagsmode, nur unzureichend. Dieser Hintergrund trug maßgeblich zur Etablierung der Kultur der Selbstschneiderei in weiten Teilen der Bevölkerung bei. Wer nicht die finanziellen Mittel oder Verwandtschaft im Westen hatte, die regelmäßig mit modischer Kleidung versorgte, musste somit nicht auf Mode verzichten, sondern konnte der eigenen Kreativität freien Lauf lassen. Interessant ist, dass die Praktik der Selbstschneiderei indirekt auch von staatlicher Seite aus gezielt gefördert wurde. Damit sollte dem eintönigen und mangelhaftem Angebot im Handel bewusst entgegengewirkt werden: Indem Nähvorlagen weitreichend zur Verfügung gestellt wurden, wurde der DDR-Bevölkerung das Thema „Mode“ somit eigenmächtig in die Hand gelegt. Die Tatsache, dass Schnitt- und Nähvorlagen zahlreich vertrieben wurden – sogar im DDR-Fernsehen – widerlegt die im öffentlichen Diskurs häufig verbreitete These, dass in der DDR ein politisch bestimmter – sozialistischer – Modestil entwickelt werden sollte. Wäre Kleidung und Mode in der DDR politisch gesteuert worden, wäre als Konsequenz die Selbstschneiderei nicht gefördert, sondern reguliert worden. Die Tatsache der weiten Verbreitung von Schnitt- und Nähvorlagen im öffentlichen Leben zeigt jedoch, wie diese Praktik sogar gezielt gefördert wurde. Die Praktik der Selbstschneiderei etablierte sich auf umfassende Art und Weise in den Privathaushalten der ehemaligen DDR und wurde darüber hinaus sogar von Bürger_innen mit hervorragenden Nähkenntnissen als private Dienstleistung für Bürger_innen, die nicht über Nähkenntnisse verfügten oder keine Zeit dafür fanden, betrieben. Öffentliche Märkte, die Ende der 70er Jahre zunehmend aufkamen, wurden gezielt dazu genutzt, selbstgeschneiderte Kleidung zu verkaufen. Die Ursachen für das mangelhafte Angebot im Handel und damit gleichzeitig die indirekte und direkte Förderung der Selbstschneiderei lassen sich anhand der Filmsequenzen nicht erschließen.

Konsum von Kleidung: Private Geschäfte

Sequenz aus OMB Box 058 Rolle 04. Shoperöffnung/ Neues Geschäftshaus Getrudenplatz 2-3 1957, Rostock

Neben der Praktik der Selbstschneiderei existierten besonders in den frühen Jahren der DDR weitere alternative Möglichkeiten gegenüber dem konventionellen Handel, modische Kleidung zu erwerben. Hierzu zählen privat betriebene Bekleidungsgeschäftshäuser oder kleine Boutiquen bzw. Schneidereien. Da diese Geschäfte im Verkauf teurer waren als der konventionelle (staatliche) Handel wurden sie vor allem für besondere Anlässe, wie zum Beispiel die Jugendweihe, aufgesucht. Dort erhältliche Kleidung war individueller und nach zeitgenössischen modischen Richtlinien gestaltet. Dies war vor allem deswegen möglich, da kleine (Privat-)Betriebe ökonomisch eigenständig funktionierten. An dieser Stelle ist auf das System der Planwirtschaft zu verweisen, dessen Konzept mit dem Phänomen der Mode schwer vereinbar war. Für die Mode – ein Phänomen, das schwer zu greifen, weder planbar noch vorhersehbar und vor allem von schnellen Wechseln gekennzeichnet ist – bedeutete das konkret den Versuch, in einem System von Reglementen und konträren Bedingungen zu existieren: Langfristige zentrale Planungen, Festlegung auf bestimmte (vorhandene oder ausschließlich zur Verfügung stehende) Materialien, Materialknappheit und Reduzierungen dominierten die Struktur der staatlichen Kleidungsproduktion und erschwerten damit „mit der Mode zu gehen“[3]. Die Mode musste hingegen mit den ökonomischen Bedingungen und Gegebenheiten gehen. Das Warenangebot im Handel war detailgenau durch Planvorgaben geregelt. Bei zahlreichen Kollektionsabnahmen[4] wurden ursprünglich modisch gestaltete Modelle sukzessive durch Reduzierungen an Materialmenge, Verzierungen, Ornamenten und durch Anpassungen an einfachere Schnitttechniken verändert. Das Ziel dabei war, kostengünstig und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mit geringem technischen Aufwand Kleidung zu produzieren. Aus diesen Gegebenheiten heraus entstand eine sogenannte „Uniformität“ im Kleidungsstil des Warenangebots in der DDR. Wichtig dabei ist jedoch, dass dieser uniforme Kleidungsstil nicht politisch angeleitet war. Erst mit dem Hintergrundwissen zu den ökonomischen Bedingungen sowie zum Prozess der Kleidungsentstehung wird dies deutlich. Hier gilt es auch die ursprünglichen Modellideen der DDR-Designer_innen hervorzuheben, die wenig mit dem Endprodukt, das letztendlich in die Produktion ging, gemeinsam hatten. Somit kann das Kleidungswarenangebot in der ehemaligen DDR als Resultat schwieriger ökonomischer Bedingungen reflektiert werden, die zeitgleich das Wirken der Mode auf umfassende Art und Weise einschränkten.

Kleinere privat betriebene Geschäftshäuser und Boutiquen hatten jedoch flexiblere Handlungsspielräume bei der Herstellung von Kleidung. Insbesondere das geringere Produktionsaufkommen war dabei von Vorteil. Oftmals wurden lediglich Einzelmodelle oder auf Kundenwunsch gefertigt, sodass mehr Möglichkeiten in Materialauswahl und Preissegment bestanden. Vor diesem Hintergrund konnte somit schnell und tatsächlich auf Modetrends reagiert werden. Kollektionsabnahmen und damit verbundene Reduzierungen existierten in kleinen Privatbetrieben weniger umfangreich. (Internationale) Modetrends konnten zeitnah im kleinen Umfang umgesetzt werden. Kleine (private) Geschäfte dieser Art trugen damit als Bereicherung maßgeblich zur Vielfalt der Konsummöglichkeiten bei.

Dies zeigt sich auch am Beispiel des Films zur Eröffnung eines neuen Modegeschäftshauses am 3. September 1957 in Rostock (OMB Box 058 Rolle 04). Der Film dokumentiert die Eröffnung eines neuen Geschäftshauses für Kleidung am Getrudenplatz 2-3. Interessant dabei ist, dass der Schmalfilm zusätzliche Informationen über visuelle Darstellungen von kurzen Texten sowie Erklärungen zu den Szenen inkludiert und damit als dokumentarischer Bericht fungiert. Gezielt wurden Hintergrundinformationen zur Beschreibung der Situationen visualisiert, wie zum Beispiel zu den Schwierigkeiten, die mit der Eröffnung des Kaufhauses einhergingen. Diese wurden beschrieben als „[…] unendliche[r] Kämpfe und vielseitige[r] Schwierigkeiten […]“

Sequenz aus OMB Box 058 Rolle 04

Mit diesen Textzusätzen sticht der Film aus der Masse der Quellenfilme in der OMB hervor, indem er detaillierteren Aufschluss zum Kontext der historischen Aufnahmen gibt und damit die Möglichkeit bietet, eine geschichtliche Einordnung vorzunehmen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch die Notwendigkeit, das Quellenformat Film um zusätzliche historische Informationen/ Quellen zu erweitern, sodass ein valides Bild der Vergangenheit erarbeiten werden kann. Zwischen den einzelnen Filmsequenzen wird immer wieder eine Tafel mit textlichen Zusatzinformationen eingeblendet, u.a. zur Beschreibung der Situation vor der Eröffnung. Hier wird besonders das „reichliche Warenangebot“ (OMB Box 058 Rolle 04) betont, von dem sich Passanten bereits am Vorabend über die Schaufensterauslagen überzeugen konnten und das zeitgleich eine Besonderheit im Kontext der von Mangel geprägten Wirtschaft der DDR darstellte. Folgen der Nachkriegszeit, hohe Reparationszahlungen, fehlende Rohstoffe und Handelsbeziehungen prägten die wirtschaftliche Situation der Republik insbesondere in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies spiegelte sich unmittelbar im Angebot des Handels, konkret in der Mode, wider. Zahlreiche Materialien und Produkte existierten nicht, sodass die Geschäfte entsprechend über wenig Warenangebot verfügten und vorhandene Ware bereits vor Ladenöffnung über Kontaktnetzwerke gehandelt wurden. Vor dem Hintergrund dieser Information scheint es, dass der Film zur Geschäftseröffnung, angereichert mit textlichen Zusatzinformationen, bewusst ein gegenteiliges positives Beispiel darstellen sollte. Es lässt sich vermuten, dass Prozesse dieser Art staatlich gesteuert wurden. Auf Grund von fehlenden Zusatzinformationen bleibt dies hier jedoch unklar.

Einschnitt Verstaatlichung – Einbruch der Vielfalt von Konsummöglichkeiten

Das langfristige Ziel der DDR-Regierung war es, alle wirtschaftlichen Vorgänge zentral im Rahmen von staatlich festgelegten Produktionsplänen zu kontrollieren und zu steuern. Hierfür wurde eigens in den 1950er Jahren eine staatliche Plankommission gegründet, die langfristig wirtschaftliche Zielsetzungen bestimmte. Bis 1972 sollten alle privaten Betriebe sukzessive in die staatliche Kontrolle übergehen. Mit dem Vorantreiben der Verstaatlichung wurde auch die Vielfalt des modischen Kleidungsangebots nahezu gänzlich ausgelöscht. Der staatlich gelenkte Binnenhandel – insbesondere Konsum-Geschäfte – hatte somit eine Monopolstellung inne und fungierte entsprechend konkurrenzlos. Das Angebot im Handel wurde nicht durch die tatsächlich vorhandene Nachfrage bestimmt. An dieser Stelle hatten private Betriebe, vor allem im Geschäft mit der Mode, entscheidende Vorteile. Kleine private Boutiquen konnten kurzfristig und unmittelbar auf aktuelle Trends und Zeitgeist-Strömungen reagieren. In einer auf Massenproduktion fokussierten Planwirtschaft war dies nicht möglich. Für die Entstehung von modischer Kleidung bedeutete dies: Mode konnte in großem Umfang gar nicht erst entstehen. Die Kleidung im staatlichen Handel war vor diesem Hintergrund gekennzeichnet durch ökonomisch widrige Bedingungen sowie Modelle, die nicht dem Zeitgeist – dem zentralen Kriterium von Mode – entsprachen. Mode blieb damit ein Privileg für Menschen, die selbst nähen konnten oder Zugang zu Kontakten, zu westlichen Waren oder kleineren privaten Boutiquen hatten.

Westpaket – Verbindung zur Mode

Eine besondere Quelle für modische Waren stellte die Verbindung zum Westen dar, die über sogenannte „Westpakete“ aktiv zum Austausch von Kleidung genutzt wurde. Dies zeigt sich auch in einigen Filmausschnitten zur Thematik „Westpaket“, wie zum Beispiel der Sequenz (OMB Box 122 Rolle 20), die eine Familie beim Auspacken eines Westpakets zeigt. Neben Süßwaren enthält das Paket auch Kleidung.

Sequenz aus OMB Box 122 Rolle 20

Auch der Filmausschnitt (OMB Box 081 Rolle 30) zeigt eine ähnliche Szene beim Auspacken eines Westpakets, das ein Männerhemd enthält. Zahlreiche Familien, die Verwandtschaft in den westlichen Bundesländern hatten, nutzten die Verbindung, um sich Kleidung und weitere Produkte, die vor allem in der DDR nicht erhältlich waren, schicken zu lassen. Das sogenannte „Westpaket“ mutierte vor diesem Hintergrund zum inoffiziellen Lieferanten westlicher Mode und erlangte damit gleichzeitig Kultstatus. Die Pakete galten als staatlich streng kontrolliert, damit eine übermäßige Einfuhr westlicher und „unerlaubter“ Waren unterbunden wurde.

Modenschauen als Publikumsereignis

Sequenz aus OMB Box 104 Rolle 01. Modenschau 1960-1969 in Kämpeln
Sequenz aus OMB Box 082 Rolle 08. Modenschau 1983
Sequenz aus OMB Box 127 Rolle 01. Modenschau 1970-1979 in Birne
Sequenz aus OMB Box 095 Rolle 21. Modenschau 1974

Modenschauen wurden in der ehemaligen DDR als beliebte kulturelle Praxis gepflegt. Zahlreiche staatliche oder private Geschäfte, Kaufhäuser oder Boutiquen veranstalteten regelmäßig öffentliche Modenschauen. Dies zeigt sich auch anhand von zahlreichen Filmsequenzen zu Modenschauen, die überwiegend in ländlichen Gegenden, wie zum Beispiel Kämpeln oder Birne (OMB Box 104 Rolle 01) und (OMB Box 127 Rolle 01), stattfanden. Der Filmausschnitt einer Modenschau in Birne zeigt anhand eines Werbeplakats für Modenschauen, wie häufig diese abgehalten wurden: In diesem Fall viermal täglich, wodurch die Beliebtheit von Modenschauen verdeutlicht wird (OMB Box 127 Rolle 01). Modenschauen galten vor diesem Hintergrund als beliebter sowie unterhaltsamer Veranstaltungsanlass. Häufig stand dabei nicht der Gedanke zur Förderung von Konsum oder die Vorstellung neuer Trends im Vordergrund, sondern vielmehr der Faktor des gesellschaftlichen Zusammenkommens sowie die Unterhaltung.

Modeinstitut als geschmacksbildende Institution

Vor dem Hintergrund der eigentlichen Bedeutung und Symbolik von Modenschauen gilt es, eine im Modesystem der DDR bedeutende Institution zu nennen, die mit dem Quellenmaterial Schmalfilm und dem Verschlagwortungssystem der OMB unerwähnt bleibt: Das Modeinstitut. Das Modeinstitut war eine staatlich errichtete und geförderte Institution zur Geschmackserziehung der DDR-Bürger_innen im Hinblick auf Kleidung. Der Begriff Geschmackserziehung bedeutet dabei konkret die Durchführung von Maßnahmen, um das Kleidungsverhalten und den Stil der DDR-Bevölkerung zu beeinflussen. Dies wurde zum Beispiel mit Hilfe von öffentlichen Modenschauen, Artikeln in Zeitungen oder Zeitschriften forciert. Auf direktem Weg erfolgte die Arbeit des Modeinstituts jedoch in der Anleitung der Industriebetriebe. Dabei stellte das Modeinstitut saisonal allen DDR-Kleidungsproduktionsbetrieben Trendlinien vor, die im Hinblick auf die Gestaltung in der Kollektionsherstellung als Orientierung genutzt werden sollten. An dieser Stelle scheiterte der Einfluss des Modeinstituts jedoch an den Möglichkeiten der Umsetzung der vorgeschlagenen Trends aufgrund mangelhafter Verfügbarkeiten von Rohstoffen und ökonomisch-technisch unzureichenden Produktionsgegebenheiten. Vor diesem Hintergrund kamen die kreativen Ideen der Gestalter_innen des Modeinstituts in der realen Umsetzung nicht zum Tragen.

Exquisit: Modezenit der DDR

Obgleich die 1970er Jahre mit dem Prozess der Verstaatlichung privater Bekleidungsgeschäfte als gravierende Zäsur in der Kleidungs- und Modegeschichte der ehemaligen DDR gelten, kennzeichnen sie ebenso einen bedeutenden Wendepunkt im Hinblick auf die Entstehung einer individuellen Gestaltungsphilosophie der DDR: Die Gründung des Betriebs Exquisit. Der Filmausschnitt (OMB Box 006 Rolle 02) zeigt die Karl-Marx-Allee in Berlin um 1970. Die Allee galt als Hauptader für sogenannte „repräsentative“ Geschäfte – Geschäfte mit gutem Angebot und hohen Verfügbarkeiten von Waren. Das Geschäft Exquisit durfte dabei nicht fehlen. In der Sequenz

Sequenz aus OMB Box 006 Rolle 02

wird eine junge Frau eingeblendet, die stolz ihre „Einkaufserrungenschaften“ präsentiert. Dabei öffnet sie eine Einkaufstasche mit dem Logo von Exquisit und zeigt ein in einer Klarsichtfolie verpacktes Modell. Sie lächelt zufrieden, eine modische Besonderheit erstanden zu haben. Weitere Informationen zu dem Geschäft oder Filmausschnitte bzw. Exquisit als Schlagwort im Schmalfilm-Archiv existieren nicht. Informationen zur Entstehungsgeschichte, Hintergrund und Kontext des Betriebs, die von entscheidender Bedeutung für die historische Aufarbeitung sind, können den privaten Schmalfilmen als Quelle nicht entnommen werden.

Interessant ist jedoch ein Kurzfilm im Bereich „Geschichten“, der einen Zusammenschnitt mit Kommentaren zu Filmsequenzen der Box 006 von der Filmgeberin beinhaltet. Dabei wurde rückwirkend den Filmgeber_innen ein Zusammenschnitt ihrer Filme vorgeführt, die sie spontan kommentierten. Zur genannten Sequenz, Einkauf bei Exquisit auf der Karl-Marx-Allee, erinnert die Filmgeberin, dass ihr Mann das Kleid von Exquisit für ein „[…] Wahnsinns-Geld – 100 Mark – das unser Studentenbudget überschritt […]“ für sie erstanden hat.

Sequenz aus OMB Story "Ich bereue nichts / Box 006"

Darüber hinaus erwähnt die Filmgeberin in einer späteren Sequenz, dass es in der ehemaligen DDR schwierig war, „modische Klamotten“ oder auch Schuhe zu bekommen. Jedoch betont sie, es nicht vermisst zu haben, „[…] dass man nicht alles kaufen konnte […]“ [Kommentierter Kurzfilm Box: 006 start: 08:22 stop: 08:38]. Anhand der Zusatzinformationen in Form von Kommentaren können die Filmsequenzen in einen besseren Gesamtkontext eingeordnet werden und Hinweise auf das Konzept von Exquisit geben. Dabei beschreiben die Kommentierungen das gängige Muster des Konsumverhaltens bei Exquisit. Exquisit-Modewaren nahmen einen besonderen Stellenwert in der Konsumlandschaft der ehemaligen DDR ein und hatten zudem eine einzigartige Bedeutung für die Konsumenten. Da die Produkte in den Geschäften des Betriebs deutlich kostspieliger waren als im konventionellen Handel der DDR, konnte dort entsprechend seltener konsumiert werden. Viele Bürger_innen mussten lange sparen, um sich ein Exquisit-Modell leisten zu können. Da sich die Produkte von Exquisit jedoch in hohem Maß in Stil und Qualität von dem Angebot im konventionellen Handel abhoben, waren zahlreiche DDR-Bürger_innen bereit, Ersparnisse gezielt für diese zurückzulegen.

Das Konzept Exquisit wurde eigens auf Anordnung des damaligen Ministers für Handel und Versorgung in Berlin mit dem stellvertretenden Generaldirektor Artur Winter gegründet und maßgeblich durch Sonderregelungen und staatliche Förderprogramme forciert. Mit dem Machtantritt Honeckers wurde der Ausbau von Exquisit-Geschäften DDR-weit im Laufe der 1970er Jahren sogar verdreifacht. In diesem Zusammenhang wird die umfassende Förderung des Betriebs von politischer Seite aus deutlich.

Der Hintergrund der staatlichen Förderung des Konzepts wurzelte in der Erkenntnis, dass sich im Laufe der Entwicklung der DDR signifikanter finanzieller Wohlstand in der DDR-Bevölkerung angesammelt hat: Konsum im staatlichen Handel fand aufgrund des unzureichenden Warenangebots sehr zurückhaltend statt. Gleichzeitig nahmen alternative Möglichkeiten, u.a. der Schwarzmarkt, rasant zu. Geld auszugeben war schlichtweg schwer möglich. Vor diesem Hintergrund musste seitens der Regierung strategisch umgedacht werden und neue Wege zur Abschöpfung des Sparvermögens der DDR-Bürger_innen gefunden werden: Exquisit-Geschäfte waren eine Möglichkeit davon.

Diese Strategie spiegelte sich unmittelbar in der Preispolitik des Betriebes wider: Die Preise für Exquisit-Produkte entsprachen zum einen den tatsächlichen Herstellungs- und Produktionskosten und inkludierten zum anderen erstmals eine zusätzliche Gewinnmarge. Dadurch, dass sich die tatsächlichen Aufwandskosten auch in den Verkaufspreisen der Waren niederschlugen, konnten entsprechend teurere Materialien von hoher Qualität in der Herstellung von Kleidung verwendet werden oder sogar Fertigprodukte[5] aus dem Ausland importiert werden. Dieses Konzept, was zum damaligen Zeitpunkt für das Wirtschaftssystem der DDR einmalig erschien, war in den westlichen Industrienationen längst Standard. Darüber hinaus sollte mit der Gründung von Exquisit als Maßnahme gezielt den zunehmend wachsenden Bedürfnissen in der Bevölkerung nach ansprechender Kleidung entgegengekommen werden. Vor diesem Hintergrund kann das Konzept Exquisit als vorsichtiges Eingeständnis der Regierung zur Öffnung und Weiterentwicklung des Wirtschaftssystems gelten.

Gestaltungsphilosophie von Exquisit

Die Besonderheit des Betriebs Exquisit bestand in seiner privilegierten Sonderposition, über Zugang zu ausländischen Rohwaren und Fertigprodukten zu verfügen. Vor diesem Hintergrund eröffneten sich den Gestalter_innen des Betriebs neue Möglichkeiten im freien kreativ-künstlerischen Entwerfen von Modellen – wodurch erstmals die Basis und der Raum für die Entstehung von Mode geschaffen wurde. Mit der Möglichkeit, Materialien und Produkte importieren zu können, war der Entstehungs- und Produktionsprozess nicht mehr von ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen, insbesondere der Materialknappheit betroffen. Auch daraus resultierende restriktive Kollektionsabnahmen existierten nicht. Der Aspekt der hohen Qualität konnte damit erstmals in den Fokus rücken. Es entstand ein freier, kreativer Schaffensprozess, der sowohl an eigenen Inspirationen der Exquisit-Gestalter_innen als auch internationalen Trends orientiert war. Mode bekam damit den Raum, den sie brauchte. Im Kontext des freien Schaffensprozesses entstand eine eigene Exquisit-Linie und damit eine eigene Modephilosophie der DDR. Auch die neue Form der Preispolitik trug zur Entwicklung der eigenen Modephilosophie bei, die sich unmittelbar im Konsumkonzept widerspiegelte: Maßvoller Konsum in regelmäßigen Abständen. Zahlreiche DDR-Bürger_innen mussten lange sparen, um ein Modell von Exquisit erstehen zu können. Dies steigerte jedoch gleichzeitig den Reiz, der vom Kauf bei Exquisit-Geschäften ausging, sowie die symbolische Bedeutung der Produkte. Diese Gegebenheiten wurden auch in der Gestaltungsphilosophie von Exquisit berücksichtigt. Der Kerngedanke bestand darin, Kollektionen von hoher Qualität und zeitlosem Stil zu entwickeln, die langlebig waren und von Saison zu Saison aufeinander aufbauten. Dies hatte den entscheidenden Vorteil, dass ältere Modelle weiterhin in aktuelles Modegeschehen integriert werden konnten und mit neuen Elementen, Accessoires oder Modellen im Stil ungebrochen verbunden werden konnten. Dieser System- oder auch Kombinationsgedanke wurde zum maßgeblichen Charakteristikum der Modephilosophie von Exquisit und verweist gleichzeitig auf die Bauhaus-Lehre, durch die zahlreiche DDR-Gestalter_innen im Rahmen ihrer Ausbildung geprägt wurden. Im Konzept Exquisit kamen somit erstmals in der Modegeschichte der DDR die kreativen und künstlerischen Fähigkeiten der Gestalter_innen der DDR zum Tragen. Kleidung von Exquisit wurde zum Synonym und Inbegriff für Mode. Auf diese Weise entstand Mode in der DDR auf ihre eigene Art und Weise und konnte somit erstmals für die breite Bevölkerung zugänglich gemacht werden.

Konklusion: Schmalfilme als Quellenmaterial zur Erforschung der DDR-Kleidungsgeschichte

Die Kleidungs- und Modegeschichte der ehemaligen DDR war lange Zeit von klischeebesetzten Stigmata überschattet, bevor sich im wissenschaftlichen Diskurs einer reflektierten Quellenauswahl angenommen wurde. Nach wie vor sind zu diesem Thema noch Stimmen ungehört, Perspektiven nicht repräsentiert sowie Quellen ungenutzt. Die Quellen Film/Schmalfilm und Visualisierungen im Allgemeinen zählen dazu. Als visuelles Phänomen sind diese für den Bereich der Mode von großer Bedeutung. Weil das Visuelle wesentlicher Teil von Mode ist, haben visuelle Quellen gegenüber textlichen Quellen, wie zum Beispiel Zeitungsartikel, Akten oder Dokumentationen, für die Geschichtsschreibung den Vorteil, Visualität unmittelbar repräsentieren zu können. Insbesondere Schmalfilme, die vorwiegend im privaten Bereich entstanden sind, können neue Perspektiven eröffnen.

Für den Bereich der Mode zeigt sich an dieser Stelle jedoch die Schwierigkeit, eine ganzheitliche Perspektive auf das Kleidungs- und Modesystem der DDR zu entwickeln. Wie bereits in den Ausführungen zur Interpretation verschiedener Filmsequenzen deutlich wurde, kann der umfassende Themenkomplex zur Kleidung und Mode nur unzureichend mit den Filmquellen der Open-Memory-Box erschlossen werden. Auf Grund der Tatsache, dass zusätzliche Erklärungen zum Beispiel in Form von Ton oder auch Zeit-, Ort- und Kontextangaben fehlen, lassen sich an zahlreichen Stellen nur Vermutungen zur Interpretation aufstellen. Informationen und Daten zum wirtschaftlichen Hintergrund, Kollektionsentstehungsprozess, zu sozialen und kulturellen Kleidungspraktiken oder auch staatlichen Strukturen im Kontext der Kleidungsindustrie, die erst ein valides und umfassendes historisches Verständnis zum Themenkomplex Kleidung und Mode in der ehemaligen DDR ermöglichen, bleiben dabei gänzlich unberücksichtigt. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass auch hierbei auf Klischees und Stigmata zurückgegriffen wird oder diese sogar erzeugt werden. Als Ausnahme erscheinen jedoch die kulturellen Praktiken, die im privaten Bereich verortet sind. An dieser Stelle ist das Beispiel der Selbstschneiderei hervorzuheben, die in zahlreichen privaten DDR-Haushalten aktiv praktiziert wurde. Aber auch hier mangelt es an zusätzlichen Hintergrund-Informationen, um den ganzheitlichen Kontext richtig einzuordnen.

Am einleitenden Beispiel zur Darstellung der Quelle Oral History wurde diese Problematik aus einem weiten Blickwinkel beleuchtet, verweist jedoch auch auf neue Perspektiven in der Forschung mit unterschiedlichen Quellenmaterialien. Im Rahmen der Forschungsmethodik der Arbeit mit Zeitzeug_innen kann die Quelle Filmmaterial von signifikanter perspektivischer Bedeutung sein. Die Verbindung von Oral History mit Filmmaterial kann den Erinnerungsprozess von Zeitzeug_innen aktiv unterstützen sowie gleichzeitig als direkte Überprüfung erinnerten Wissens dienen. Die Methodik der Oral History steht wissenschaftlich in der Kritik, inwieweit erinnertes Wissen valide sein kann, da Erinnerungen durch zahlreiche Faktoren getrübt oder sogar verändert sein können. Diese Schwierigkeit ist häufig in der direkten Zusammenarbeit mit Zeitzeug_innen zu beobachten. Erinnerungen können durch nachträgliche Erlebnisse verändert sein, der Erinnerungsfluss kann unterbrochen oder auch schwer abrufbar sein. Dabei hat sich gezeigt, dass visuelle Darstellungen ein signifikant geeignetes Instrument sind, Reize im Gedächtnis auszulösen, die das Erinnern anregen können. Neben der Anregung von Erinnerungen können visuelle Darstellungen zudem als Erinnerungsstütze sowie Mittel zur Überprüfung des erinnerten Wissens fungieren. Auf diesem Weg kann erinnertes Wissen somit korrigiert werden.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Quellenformat Schmalfilm als alleinige Quelle für die Forschung wenig wirksam ist, jedoch in Kombination insbesondere mit der Forschungsmethodik der Oral History neue Perspektiven in der Erforschung historischer Alltagswelten ergeben kann. Für die Erforschung der Historie der ehemaligen DDR kann die Methodik von großer Bedeutung sein, da somit eine breite Vielfalt unterschiedlicher Arten erinnerten Wissens einbezogen wird. Auf diesem Weg kann der reale Alltag der ehemaligen DDR-Bürger_innen umfassend rekonstruiert werden. Der Fundus an Filmen in der Open-Memory-Box bildet in Kombination mit weiteren Quellenformaten somit einen wertvollen Baustein, um Zugang zu historischen Lebenswelten zu schaffen.

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