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Heiraten

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Heiraten

von Eva Schäffler

03. Juli 2022

Entschloss sich ein Paar in der DDR zu heiraten, fand es sich in einem Spannungsfeld staatlicher und gesellschaftlicher Interessen wieder. Während aus staatlicher Sicht eine möglichst sozialistische Prägung des Rituals erstrebenswert war, verbanden die Heiratswilligen ihre eigenen Wünsche und Hoffnungen mit diesem Tag. Dass sie viele dieser Wünsche und Vorstellungen auch tatsächlich umsetzten, davon zeugen die Filmausschnitte in der Open Memory Box.

Der Tag ihrer Hochzeit war für die Menschen in der DDR ein besonders wichtiger Tag in ihrem Leben. Unter dem Stichwort „Hochzeit“ finden sich in der Sammlung gut 100 Filmausschnitte – eine beachtliche Menge, wenn man bedenkt, dass das Portal aktuell selbst gedrehte Filme von insgesamt 149 Familien enthält.

Kirchliche Trauung und Verlobung

Eine Gemeinsamkeit sticht beim Sichten der Filme zum Thema „Hochzeit“ sofort ins Auge: Egal aus welchem Jahrzehnt der Ausschnitt stammt, die Bräute tragen fast immer weiße Kleider, häufig auch mit einem passenden Schleier.

Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 29. Sequenz aus den 1950er Jahren
Sequenz aus OMB Box 030 Rolle 07. Sequenz aus den 1960er Jahren
Sequenz aus OMB Box 005 Rolle 02. Sequenz aus den 1970er Jahren
Sequenz aus OMB Box 062 Rolle 03. Sequenz aus den 1980er Jahren

Beide Kleidungsstücke stehen in der westlich-christlichen Tradition für die Unschuld der Frau beim Eingehen der Ehe. Dass solche modischen Konventionen auch in der DDR gepflegt wurden, mag auf den ersten Blick verwundern: War die DDR nicht ein Land, in dem der Stellenwert der Kirche kontinuierlich zurückging? Was die Religionszugehörigkeit angeht, war diese Tendenz eindeutig: 1949 hatten etwa 11 Prozent der katholischen Kirche und etwa 81 Prozent der evangelischen Kirche angehört. Kurz vor der Wiedervereinigung lag der Anteil der konfessionell gebundenen Bürgerinnen und Bürger nur noch bei ungefähr 30 Prozent.[1]

Dementsprechend verringerte sich auch der Anteil kirchlicher Trauungen: Im Jahr 1950 hatte der Anteil evangelischer Eheschließungen 57,4 Prozent betragen, ehe er 1960 auf 26,5 Prozent, 1970 auf 16,5 Prozent und 1989 auf 5,6 Prozent gesunken war.[2] Dementsprechend finden sich auch nur in wenigen der in der Open Memory Box enthaltenen Filme Hinweise darauf, dass sich die Paare für eine kirchliche Trauung entschieden hatten. Meist wird dies dadurch deutlich, dass eine Kirche oder ein Pfarrer zu sehen sind, wie zum Beispiel hier:

Sequenz aus OMB Box 121 Rolle 20. Aufnahme aus dem Jahr 1969
Sequenz aus OMB Box 054 Rolle 03. Aufnahme aus dem Jahr 1973
Sequenz aus OMB Box 071 Rolle 06. Aufnahme aus dem Jahr 1980
Sequenz aus OMB Box 092 Rolle 16. Aufnahme aus dem Jahr 1990

Auch die christliche Tradition der Verlobung spiegelt sich nur vereinzelt in den gesammelten Filmen wider. Insgesamt lassen sich in der Open Memory Box unter diesem Stichwort nur fünf Treffer finden. Völlig aus der Mode kam die Verlobung aber nie: Im Familiengesetzbuch von 1965 tauchte sie zumindest noch als Option im Vorfeld der Eheschließung auf. Knapp zehn Jahre später ergab eine Studie des Zentralinstituts für Jugendforschung, dass die meisten jungen Menschen in der DDR diesen Schritt nicht mehr für unbedingt notwendig hielten. Über die Hälfte der Befragten hielten die Verlobung dennoch für „eine schöne und nützliche Tradition“ und weitere 15 Prozent gaben an, dass sie selbst eigentlich keine Verlobung wünschten, sich aber verloben würden, sollte ihr Partner oder ihre Partnerin darauf bestehen.[3]

Nicht- bzw. voreheliche Kinder

Während die kirchliche Trauung und die Verlobung also an Relevanz einbüßten, wurde ein anderes gesellschaftliches Phänomen immer verbreiteter, nämlich, dass Paare mit Kindern, aber ohne Trauschein zusammenlebten. De facto wurden bereits 1970 13,3 Prozent aller Kinder nichtehelich geboren, im Jahr 1980 lag der Wert bei 22,8 Prozent (zum Vergleich: in der Bundesrepublik betrug die Nichtehelichenquote 5,5 Prozent im Jahr 1970 und 7,6 Prozent im Jahr 1980).[4] Die Ursachen für diese Entwicklung waren vielfältig: Grundsätzlich handelte es sich um eine Tendenz, die die meisten Industriegesellschaften im späten 20. Jahrhundert verzeichneten. Hinzu kamen DDR-spezifische Faktoren, von denen insbesondere der sinkende Einfluss von Kirche und Religion sowie die beinahe flächendeckende Frauenerwerbstätigkeit eine Rolle spielten.[5]

Zu beachten ist jedoch, dass nichteheliche Lebensgemeinschaften in der DDR mittelfristig meist doch in eheliche Lebensgemeinschaften überführt wurden.[6] Darauf verweist unter anderem die im Vergleich zur Bundesrepublik hohe Heiratsquote (= Anteil der Menschen, die mindestens einmal im Leben heiraten): Diese stieg in der DDR bis 1978 an, ging dann leicht zurück und stagnierte in den 1980er Jahren auf einem hohen Level. In der Bundesrepublik verzeichnete man hingegen seit den 1970er Jahren einen Abwärtstrend.[7] Hinzu kam, dass das durchschnittliche Erstheiratsalter in der DDR geringer war als in der Bundesrepublik: 1970 heirateten Frauen im Osten mit knapp unter 22 Jahren und im Westen mit etwa 23 Jahren. Bis 1989 war diese Differenz weiter angewachsen: Das weibliche Erstheiratsalter in der DDR lag nun bei 24 Jahren und in der Bundesrepublik bei 27 Jahren.[8]

Die DDR-spezifische Tendenz, erst Kinder zu bekommen und dann zu heiraten, spiegelt sich auch in einigen in der Sammlung enthaltenen Filmen wider. Immer wieder sind Brautpaare zu sehen, die am Tag ihrer Hochzeit allem Anschein nach bereits Kinder hatten:

Sequenz aus OMB Box 005 Rolle 02
Sequenz aus OMB Box 088 Rolle 11

Sozialistische Feier der Eheschließung

Interessant ist aber nicht nur das, was in den Filmen zu sehen ist, sondern auch das, was in ihnen nicht zu sehen ist. Beschäftigt man sich näher mit der Geschichte des Heiratens in der DDR, stößt man auf Versuche der Staats- und Parteiführung, eine sozialistische Feier der Eheschließung zu etablieren. Offensichtliche Hinweise, dass Paare sich für diese Form der Trauung entschieden, sind in den in der Open Memory Box vorhandenen Filmen jedoch nicht zu finden.

Warum dies so ist, sei hier kurz erklärt[9]: An ihrem V. Parteitag im Jahr 1958 rief die SED eine neue Phase der „Kulturrevolution“ aus, in der unter anderem die Umgestaltung der Alltags- und Festkultur – vor allem ging es hier um den Abbau bürgerlicher und christlicher Prägungen – im Vordergrund stand. Konkret auf die Eheschließung Bezug nahmen dann die in den Jahren 1958/1959 entwickelten „Grundsätze und Erfahrungen bei der Gestaltung sozialistischer Feierlichkeiten um Geburt, Eheschließung und Tod in Stalinstadt [ab 1961: Eisenhüttenstadt, Anm. d. A.]“ sowie die 1960 ausgegebene „Empfehlung zur sozialistischen Eheschließung“.

Anders als die Jugendweihe, die als sozialistisches Pendant zu Firmung und Konfirmation eingeführt wurde, fand die sozialistische Feier der Eheschließung aber kaum Zulauf. Grundsätzlich war vorgesehen, diese Feiern nicht auf dem Standesamt, sondern im Betrieb abzuhalten. Um diese Art der Trauung für Heiratswillige attraktiv zu machen, erhielten sie einen finanziellen Zuschuss aus dem betrieblichen Kultur- und Sozialfonds.[10] Außerdem waren die Betriebe für die gesamte Organisation zuständig: von der Einladung, über die Raumdekoration und musikalische Umrahmung bis hin zur Bereitstellung des Essens.[11]

Für die meisten Betriebe war dies jedoch ein zu großer Aufwand, weshalb sie wenig Eigeninitiative zeigten, solche Feiern auch tatsächlich durchzuführen. Ebenso waren viele zukünftige Ehepartner nicht dazu bereit, die Organisation ihrer Hochzeitsfeier aus den Händen zu geben und wollten ihre Trauung generell lieber im privaten Rahmen feiern. Diese Tendenz schlug sich auch statistisch nieder: 1962 lag der Anteil der Vermählungen im Betrieb bei lediglich 9,6 Prozent.[12] 1966 brachte das neue Personenstandsgesetz dann nach nur wenigen Jahren das Aus der sozialistischen Feier der Eheschließung. Es legte fest, dass Trauungen ausnahmslos in der dafür zuständigen Behörde erfolgen mussten.

Neue und alte Bräuche

Auch generell blieben Eheschließungen und Hochzeitsfeiern in der DDR ein Lebensbereich, in denen der Staatssozialismus keine besonders deutlichen Spuren hinterließ. Im Gegensatz dazu blieben christlich-traditionelle Bräuche ein zentrales Element, auch wenn diese Bräuche von den Brautpaaren zumeist ohne religiöse Hintergedanken fortgeführt wurden.[13]

Die Staats- und Parteiführung spielte in diesem Zusammenhang eine widersprüchliche Rolle: Nach außen hin vertrat sie eine klare Ablehnungshaltung gegenüber der Kirche und kirchlichen Traditionen. Die hinsichtlich der Eheschließung ergriffenen Maßnahmen waren aber weit weniger eindeutig. Ein Ministerratsbeschluss aus dem Jahr 1975 legte einerseits fest, sozialistische Bräuche noch stärker zu etablieren. Andererseits setzte man auf eine Aneignung christlicher Traditionen, das heißt, Bräuche wie das Tragen eines weißen Brautkleids, der Ringtausch oder die Entsendung von Tauben sollten in Zukunft vermehrt in einen sozialistisch-humanistischen Sinnzusammenhang gestellt werden.[14]

Inwieweit diese Zielsetzungen erreicht wurden, kann aufgrund der Filme in der Open Memory Box kaum beurteilt werden. Fest steht, dass in ihnen nur vereinzelt neue sozialistische Bräuche wie das Heiraten in Uniform sowie das Niederlegen von Blumen an Denkmälern vorkommen:

Sequenz aus OMB Box 088 Rolle 32
Sequenz aus OMB Box 049 Rolle 11
Sequenz aus OMB Box 119 Rolle 05
Sequenz aus OMB Box 008 Rolle 01

In denselben Filmen, ebenso wie in der großen Mehrheit sämtlicher auf dem Portal verfügbarer Filme, lassen sich aber auch althergebrachte Bräuche beobachten. Das bereits erwähnte Tragen eines weißen Brautkleids ist in diesem Zusammenhang sicherlich das wichtigste Beispiel. Der Ringtausch, den wohl die meisten Paare in ihre Trauung integrierten, ist hingegen nur selten zu sehen, was aber vor allem daran liegt, dass im Standesamt kaum mitgefilmt wurde. Einzelne Beispiele gibt es dennoch:

Sequenz aus OMB Box 037 Rolle 04
Sequenz aus OMB Box 085 Rolle 04

Für Bräuche, die unter freiem Himmel stattfanden, dazu zählen unter anderem das Blumenstreuen und Baumstammsägen, finden sich hingegen deutlich mehr als die hier angeführten Beispiele:

Sequenz aus OMB Box 010 Rolle 03
Sequenz aus OMB Box 111 Rolle 17
Sequenz aus OMB Box 010 Rolle 18
Sequenz aus OMB Box 010 Rolle 18

Die meisten Filme zeigen außerdem, wie die Brautpaare ihre Trauung im kleineren oder größeren Familien- und Freundeskreis feiern. Üblich war ein gemeinsames Essen[15], bei dem allem Anschein nach auch das Trinken zumeist nicht zu kurz kam. Viele frisch gebackene Eheleute schwangen mit ihren Gästen das Tanzbein, zum Teil begleitet von Live-Musik. Beliebt waren den Filmausschnitten zu Folge auch Ansprachen, Spiele und Sketche, die Gäste vorbereitet hatten.

Sequenz aus OMB Box 042 Rolle 06
Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 19
Sequenz aus OMB Box 031 Rolle 08
Sequenz aus OMB Box 078 Rolle 07

Fazit

Entschloss sich ein Paar in der DDR zur Heirat, fand es sich – nicht erst im Eheleben, sondern bereits bei der Eheschließung – in einem Spannungsfeld staatlicher und gesellschaftlicher Interessen wieder.[16] Jedoch gelang es der SED bei diesen Anlässen nur sehr bedingt, ihren Willen der Bevölkerung aufzuzwingen. Während aus staatlicher Sicht eine möglichst sozialistische Prägung des Rituals und der anschließenden Feier erstrebenswert war, verbanden die heiratenden Frauen und Männer ihre eigenen Wünsche und Hoffnungen mit diesem bedeutsamen Schritt in ihrem Leben. Dass die Brautpaare viele dieser Wünsche und Vorstellungen auch tatsächlich umsetzten, davon zeugen die Filmausschnitte in der Open Memory Box.

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