Die DDR im Schmalfilm Bild

Die Grenze filmen

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Die Grenze filmen

von Manfred Wichmann

25. Juli 2022

Die Grenzen der DDR stellten eine völkerrechtliche Besonderheit dar und waren ein ideologisch aufgeladener Aspekt des Kalten Krieges. Das SED-Regime sah in der Interpretation der Grenzen ein wichtiges Instrument der eigenen Herrschaftssicherung. Private Filmaufnahmen im Grenzgebiet waren daher seltene Ausnahmefälle und nur zu bestimmten Zeiten möglich, vor allem im dichtbesiedelten Berlin. Sie zeigen den Wandel der Grenzanlagen und sind zugleich Zeugnisse gesellschaftlicher Restriktionen.

Die Grenze als Motiv in der DDR

Das Filmen an der Grenze der DDR entsprang dem vielfachen Bedürfnis der Menschen bei der Schmalfilmerstellung, das Erleben einer besonderen Situation visuell einzufangen und für sich und andere später reproduzierbar und erklärbar zu machen. Dabei spielten für die DDR und damit zugleich für ihre Bewohner*innen die Grenzen des eigenen Staates eine sehr spezifische Rolle, und zwar sowohl in völkerrechtlicher, ideologischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht als auch für das eigene Selbstverständnis und das Alltagsleben. In welch vielfachen Dimensionen die äußeren Grenzen die DDR zudem im Inneren prägten, haben u.a. Jens Schöne, Thomas Lindenberger und Gerhard Sälter in diversen Studien dargelegt.[1] Mit diesem Hintergrund lassen sich die relativ wenigen Schmalfilmaufnahmen von der Grenze verstehen und interpretieren.

Zunächst einmal entsprang das Filmen der Grenze – einem besonderen und nicht alltäglichen Erfahrungsraum – der damals gängigen Praxis der Motivwahl. Das Filmen auf Schmalfilm hatte sich seit den 1950er Jahren langsam verbreitet und wandelte sich in der DDR seit den 1960er Jahren zu einem verbreiteten Hobby, in der sich auch das Selbstverständnis eines modernen Freizeit- und Konsumverhaltens manifestierte – und von staatlicher Seite manifestieren sollte, wie Sebastian Thalheim quellenkundig dargelegt hat.[2] Die selbstproduzierten Filmbilder, die auf einer Rolle von meist drei Minuten Länge eingefangen wurden, waren daher keine Abbilder des Alltags, sondern diese zeigten in ganz überwiegendem Maße Ereignisse und besondere Erfahrungen wie Festivitäten, Besuche, Übergangsrituale und Reisen. Auch die Nähe der Grenze bzw. die besondere Form der Grenzen der DDR waren in dieser Motivation ein auf Film festzuhaltendendes außergewöhnliches Erlebnis. Was machte die grundsätzlichen Besonderheiten dieser Grenzen aus?

Die verschiedenen Grenzen der DDR

Zunächst einmal müssen die innerdeutsche Grenze zwischen Ostsee und Vogtland und die Berliner Mauer unterschieden werden, welche den Westteil Berlins umschloss.[3] Die gesamte ehemalige Reichshauptstadt stand nominell noch unter gemeinsamer alliierter Verwaltung und gehörte völkerrechtlich zu keinem der 1949 gegründeten deutschen Teilstaaten. Diese Unterscheidung spiegelte sich ebenfalls deutlich in der 156 Kilometer langen Berliner Mauer wider, die im innerstädtischen Bereich die Sektorengrenze absperrte, am Außenring zwischen West-Berlin und der DDR dagegen die Staatsgrenze markierte, die bis 1949 eine Zonengrenze war. Auch die Formen der Grenzsicherung unterschieden sich deutlich voneinander, weil am Außenring ähnlich wie bei der 1378 Kilometer messenden innerdeutschen Demarkationslinie die Überwachung von unbewohntem und unbebautem Gebiet durch eine viel weiträumigere Sperrzone gewährleistet wurde, die keine solche Verdichtung der militärischen und martialisch wirkenden Sperranlagen wie innerhalb Berlins erforderte. Hier lag die Breite des Grenzstreifens im Vergleich zur innerdeutschen Grenze im Schnitt bei nur etwa einem Zehntel, und daher konnte man nur hier den Eisernen Vorhang mit einem Blick erfassen und ohne Hilfsmittel über die Grenze hinwegsehen. Darin ist einer der Gründe zu sehen, warum dieser nur 45 Kilometer lange Grenzabschnitt inmitten einer dichtbesiedelten Metropole das Bild der deutsch-deutschen Teilung – mit ihren insgesamt über 1500 Kilometer langen Sperranlagen – bis heute so dominant prägt.

Sequenz aus OMB Box 077 Rolle 35

Innerdeutsche Grenze

Innerdeutsche Grenze und Berliner Mauer entsprangen zwar dem gleichen politischen Impetus der SED-Regierung mit der Ausrichtung auf innerstaatliche Machterhaltung und Autoritätsdurchsetzung sowie dem Ziel der äußeren Souveränitätsanerkennung, sie entstanden aber zu unterschiedlichen Zeiten. Mit der Abriegelung und Sicherung der innerdeutschen Grenze wuchs die ab 1946 gebildete und später dem DDR-Innenministerium unterstellte Deutsche Grenzpolizei (DGP) zur zentralen Instanz der äußeren Grenzüberwachung heran.[4] Diese Aufgabe übernahm sie im Verlauf der 1950er Jahre nach und nach von den sowjetischen Besatzungstruppen, die in Folge der Übertragung von staatlichen Souveräntitätsbefugnissen an die DDR immer weiter aus dieser Aufgabe herausgezogen wurden, bis zuletzt aber für die Kontrolle der Westalliierten zuständig blieben. Zudem wandelte sich damit die Kernaufgabe der Grenzsicherung von der Unterbindung von Schwarzmarktgeschäften und Schmuggel hin zur Verhinderung von Fluchten und der demonstrativen Ausübung staatlicher Autorität, was nach innen und außen den Souveränitätsanspruch der jungen Republik manifestieren sollte. Dazu gehörte die als „Aktion Grenze“ titulierte Zwangsumsiedlung von tausenden Menschen, die ihre Wohnungen, Häuser und Höfe im unmittelbaren Grenzgebiet verlassen mussten. Offiziell sollten damit nur als unzuverlässig geltende Bewohner*innen dauerhaft aus diesem sensiblen Überwachungsbereich entfernt werden, doch wurden ebenso politisch missliebige und als oppositionell vermutete Menschen zum Opfer der teils martialisch durchgeführten Maßnahmen.[5] Die Abriegelung der Grenze zur Bundesrepublik diente somit der inneren und äußeren Machtfestigung des kommunistischen Herrschaftsanspruchs, war jedoch gleichzeitig Teil der gesamtdeutschen Frage und der ideologisch-politischen Rivalität um die Ausrichtung und Zukunft beider deutscher Teilstaaten.

Berliner Mauer

Neun Jahre später beim Bau der Berliner Mauer hatten sich diese Rahmenbedingungen grundlegend geändert. Mit der Übertragung der faktisch vollen Souveränität an die Bundesrepublik bzw. die DDR und der damit verbundenen Einbindung in die jeweiligen militärischen Blöcke inklusive der Aufstellung eigener Streitkräfte waren zwei unabhängige Staatswesen entstanden. Die Konfrontationen des Kalten Krieges hatten unüberbrückbare Gegensätze in der Deutschlandpolitik der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges hervorgerufen, die in der zweiten Berlin-Krise seit 1958 zu einem zentralen Konfliktherd der beiden Weltmächte anwuchsen. Mit der strikten Abgrenzung der Einflusssphären bei gleichzeitiger Anerkennung der zwischen 1945 und 1949 etablierten Ordnung in den jeweiligen Besatzungszonen – unter Einschluss des Sonderfalls Berlins mit den jeweiligen Sektoren – fand dieser Konflikt mit dem Bau der Berliner Mauer einen gewissen Abschluss.[6] Für die SED bedeutete die lückenlose Einmauerung West-Berlins einen erheblichen Machtzuwachs in doppelter Weise: Durch das Abschneiden der letzten Fluchtmöglichkeiten in den Westen erhöhte sich der politische Konformitätsdruck in der DDR massiv und zudem konnte sie nun an ihren und innerhalb ihrer eigenen Grenzen staatliche Souveränität demonstrativ ausüben. Die negativen Effekte des Mauerbaus blieben jedoch ebenso dauerhaft bestehen, wurden aber angesichts der Herrschaftsstabilisierung billigend in Kauf genommen. Dazu gehörten vor allem das Etikett des Staates, der seine Bürger*innen einsperrt und bei Fluchtversuchen sogar erschoss sowie der immense Ressourcenaufwand für die vollständige Kontrolle und den immerwährenden Ausbau der Grenzanlagen.

Kontrolle der Wahrnehmung

Die Staatsgrenze war für die DDR daher immer mehr, als der zu schützende äußere Mantel des Staatswesens. Die Grenze war sowohl Ausdruck der eigenen Existenzbegründung als auch grundlegend für die konkrete Machtsicherung der kommunistischen Herrschaft. Sie sollte zum einen als wahrnehmbare Rahmung für den Geltungsbereich einer sowjetisch geprägten Gesellschaftsordnung in Deutschland fungieren. Deren Existenzberechtigung musste sich gegen den in der Hallstein-Doktrin manifestierten Gesamtvertretungsanspruch der Bundesrepublik behaupten, der sich explizit auf die Einwohner*innen der DDR bezog. Zum anderen war sie als Beschränkung der äußeren Mobilität unabdinglich für den Aufbau des „Sozialismus in einem halben Land“, wie Dietrich Staritz dieses Spezifikum der prekären Stabilität einer geteilten Nation schon früh versinnbildlicht hat.[7] Daraus wird ersichtlich, warum die SED mit allen Mitteln darum bemüht war, die Wahrnehmung der Staatsgrenze nach innen und außen zu kontrollieren. Dies umfasste natürlich auch die visuelle Darstellung und Interpretation der Grenze mit den Hoheitszeichen, der militärischen Infrastruktur und den beständig anwachsenden Sperranlagen zur Verhinderung von Fluchten.

Welche Aspekte der eigenen Staatsgrenze öffentlich sichtbar und medial verbreitet wurden, blieb damit über die gesamte Existenz der DDR ein wichtiges politisches Anliegen, das weit über die möglichst effektive Verhinderung von Fluchtversuchen hinausging. Da die Kenntnis der Sperranlagen eine wichtige Vorbereitung für erfolgreiche Fluchten darstellte, war schon aus diesem Grund das Fotografieren der Grenze für Privatpersonen möglichst effizient zu unterbinden. Zudem wollte die SED-Führung bestimmen, welche Teile der Grenzsicherung ein geeignetes Bild der staatlichen Souveränität und inneren Konsolidierung verkörpern sollten. Dazu gehörten gängige Formen der Hoheitszeichen und Souveränitätsakte, welche die innerdeutsche Demarkationslinie als eine normale Staatsgrenze wie in allen anderen Ländern wirken lassen sollte. Bilder von Grenzpfosten, Warnschildern, patrouillierenden Grenzsoldaten und Kontrollen an Grenzübergängen sollten das Bild prägen, nicht die tief gestaffelten Sperranlagen des nach innen gerichteten Grenzregimes. Neugierige Blicke versuchten die Machthaber*innen daher von Staatsseite aus prinzipiell zu unterbinden. Auch die Verkörperung der Grenze durch das bewaffnete Wachpersonal folgte dieser Ablenkung und einer politischen Logik: Das Bild des DDR-Bürgers in Uniform als überzeugtem und verantwortungsvollem Bewacher der Grenze sollte die vorbildhafte Identifizierung mit dem Arbeiter- und Bauernstaat versinnbildlichen: Wer so entschlossen die Grenzen gegen äußere Feinde verteidigte, der musste doch vom Glauben an den Aufbau des Sozialismus überzeugt sein.[8] Die Überhöhung als Dienst an der Allgemeinheit unter Risiko des eigenen Lebens ließ Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen im Sozialismus leicht als unangemessen und egozentrisch erscheinen. Dieses Propagandabild, das in der öffentlichen Berichterstattung wiederholt und variiert wurde, durfte natürlich nicht durch eigene Anschauung und erst recht nicht durch eine unkontrollierte Wiedergabe gefährdet werden. Daher begleitete das Fotografier- und Filmverbot die DDR-Grenze von Beginn an und war keineswegs nur militärisch begründet.

Das Grenzregime

Das einfachste und effektivste Mittel war es, die eigene Bevölkerung so weit wie möglich gar nicht erst in Sichtweite der Grenze gelangen zu lassen, so dass das Fotografierverbot weder durchgesetzt werden musste noch umgangen werden konnte. Dies war an der innerdeutschen Demarkationslinie, die überwiegend eine grüne Grenze jenseits von Ortschaften war, deutlich leichter umzusetzen. Eine 5 Kilometer breite Sperrzone vor dem eigentlichen Grenzgebiet, das einen etwa 500 Meter breiten Streifen vor der eigentlichen Grenzlinie umfasste, machte bereits die Annäherung ohne besondere Erlaubnis unmöglich.[9]

Sequenz aus OMB Box 003 Rolle 03

In Berlin waren die Gegebenheiten völlig anders, daher musste das Grenzgebiet deutlich schmaler sein und eine Sperrzone in dieser Form war nicht vorhanden. Stattdessen unterlag das grenznahe Gebiet im Rahmen der „Vorfeldsicherung“ einer besonderen Überwachung. Hier sorgten die Staatssicherheit, die Volkspolizei, die Transportpolizei und ortsansässige „Freiwillige Grenzhelfer“ für eine möglichst umfassende und abschreckende Kontrolle. Des Weiteren dienten spezifische Um- und Einbauten, Verschlussregelungen, Zugangsberechtigung und verstärkte Ausleuchtung dazu, die Annäherung an die Berliner Mauer von Osten her zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

Dies sollte im Fall der Berliner Mauer durch das Nichtwahrnehmen der Mauer von Seiten der eigenen Bevölkerung befördert werden. Das bezog sich nicht nur auf die unmittelbaren Grenzanlagen, vielmehr durfte für die DDR-Bürger*innen hinter der Grenze gar keine Alternative zur sozialistischen Gesellschaft erkennbar sein und das unliebsame Interesse für den Westen nicht durch eigene Anschauung noch verstärkt werden. Das SED-Regime schränkte daher nicht nur den Zugang, sondern gezielt auch Blickmöglichkeiten auf die Grenzanlagen durch weiträumige Absperrungen und bauliche Maßnahmen stark ein. Schließlich blendeten viele Einwohner*innen Ost-Berlins die Mauer aus dem eigenen alltäglichen Leben aus.[10] Hinzu kamen die Strafandrohungen, die mit der unerlaubten Annäherung an die Grenze verbunden waren. Zusammen mit der starken Kontrolle des grenznahen Gebietes verstärkten sie die Tendenz auf Ost-Berliner Seite, sich prinzipiell von dort fernzuhalten. Denn eine Überprüfung im Bereich der „Vorfeldsicherung“ oder der Verdacht des unerlaubten Ausspähens oder Dokumentierens der Grenze konnte leicht zum Vorwurf der „Vorbereitung einer Republikflucht“ führen. Die Konsequenzen reichten von einer Festnahme und Verhören bis hin zu Überwachung durch die Staatssicherheit und juristischer Verfolgung. Somit sind nichtstaatliche Aufnahmen von der DDR-Grenze aus der Ostperspektive grundsätzlich selten.

Auch daher ist das kollektive Bild der Berliner Mauer einseitig im wahrsten Sinne des Wortes, denn Filmaufnahmen entstanden neben Hunderttausenden von Touristenfotografien nahezu ausschließlich von der Westseite der äußeren Grenzmauer. Die aus Sicht der DDR relevante Seite, sowohl für das SED-Regime als auch für deren Bewohner*innen, war hingegen die in zahlreiche Vorsicherungen und Absperrungen eingebundene Hinterlandmauer, die den Grenzstreifen nach Osten hin abschirmte. Sie war die entscheidende Mauer, die als Sperrwerk die Mobilitätsfreiheit beschränkte und als konkretes Symbol die Grenze des sozialistischen Gesellschaftsraumes in der DDR markierte. Doch ihr Erscheinungsbild ist mittlerweile nahezu unbekannt, und in der heutigen Erinnerungs- und Souvenirkultur spielt sie faktisch keine Rolle.

Motivation und Möglichkeiten

Dass in der wissenschaftlichen Rückschau der repressive Umgang des SED-Regimes mit der Annäherung und insbesondere dem Fotografieren und Filmen der Grenze so deutlich erscheint, stellt bei der Analyse der Filmquellen im konkreten Einzelfall aber noch keine hinreichende Kontextualisierung dar und darf nicht per se eine Erklärung ihrer Entstehungsmotive evozieren. Die Hintergründe für die trotz aller Beschränkungen entstandenen privaten Filmaufnahmen von der Grenze sind sowohl in Bezug auf Motivation als auch Entstehungszusammenhang sehr vielfältig und können keineswegs unmittelbar mit einer kritischen Haltung gegenüber der DDR verknüpft werden. Viel stärker müssen die individuelle Herangehensweise und der jeweilige Kontext in eine Interpretation einbezogen werden, auch wenn dies bei privaten Quellen wie den Schmalfilmen meist nur aus dem Material selbst möglich ist. Insofern muss man zunächst einmal von einer großen Bandbreite möglicher Motivationen ausgehen, die Grenze zu filmen.[11] Dies konnte aus Unkenntnis der geltenden Restriktionen oder als ein bewusstes Übertreten der Regeln geschehen. Oder es wurden Gelegenheiten genutzt, die sonst so unnahbare Grenze dort zu filmen, wo es ausnahmsweise oder zeitweise erlaubt war, etwa am Brandenburger Tor oder an bestimmten Übergangsstellen.

Sequenz aus OMB Box 098 Rolle 04

Die Gelegenheit konnte sich ebenso während bestimmter Ausnahmefälle oder aufgrund spezifischer Regelungen ergeben. Am deutlichsten sind die Zeitumstände natürlich in den ungewohnten Freiheiten direkt nach dem Mauerfall ersichtlich. Auch der Kontext, etwa im Rahmen einer Schulung oder Besuchsreise, konnte das Filmen der Grenze ermöglichen. Ebenso war es möglich, die Grenze bei Freizeit- und Familienaktivitäten in den Fokus zu bekommen, dann jedoch meist nur kurz und im Neben- oder Hintergrundbereich.

Sequenz aus OMB Box 061 Rolle 09

Dass Schmalfilmaufnahmen in seltenen Fällen als konkrete Fluchtvorbereitung oder als sich dem Konformitätsdruck widersetzende Form einer kritischen Haltung zum SED-Regime entstanden sind, ist in Betracht zu ziehen, selbst wenn dies bei den hier vorliegenden Beispielen vermutlich nicht der Fall ist. Aus dem Bereich der privaten Fotografie sind solche Motivlagen für heimliche Aufnahmen aber durchaus bekannt.[12]

Eine weitere Besonderheit stellen die Schmalfilme von Angehörigen der Grenztruppen selber dar, welche zumindest bis zum Bau der Berliner Mauer manchmal noch recht ungeniert die Filmkamera auch im Dienst nutzten. Dabei wurden zumeist Kameraden und die Routinevorgänge gefilmt. Hier ging es in den meisten Fällen darum, zu Hause die Berichte aus der Dienstzeit mit Bildern und Aufnahmen zu veranschaulichen.

Inhalte der Grenzaufnahmen

In welcher Motiv- und Formensprache die Grenze über den Zeitraum von vier Jahrzehnten auf Film gebannt wurde, ist dagegen relativ konstant. Die Grenze wird als ausgedehnter, visuell weit ausgreifender Erfahrungsraum wahrgenommen. Ähnlich wie bei Meeres- oder Gebirgsaufnahmen dienen langsame Schwenks in horizontaler Achse und eine stillstehende Kameraposition dazu, dem Betrachter eine Nachvollziehbarkeit der räumlichen Ausdehnung und eine visuelle Hilfe für die Wahrnehmung der Grenze zu bieten. Ein Motiv sticht zudem deutlich heraus, das stark auf das zukünftige Publikum der Filmaufnahmen gerichtet ist: In jedem zweiten Schmalfilm ist ein Warnschild aufgenommen, meist sehr markant mit Verweilen auf dem Text und einem Aus- oder Einzoomen auf die umgebende Grenzlandschaft verbunden. Damit wird einerseits die Besonderheit der räumlichen Umgebung hervorgehoben und bewiesen, ohne dass erläuternde Erklärungen für die tonlosen Filmrollen erforderlich sind. Andererseits fungieren die Grenzschilder als visuelle Ankerpunkte in einem sehr ausgedehnten, meist weit entfernten und dementsprechend schwierig wahrnehmbaren Grenzstreifen.

Diese Art der Aufnahme von Grenzen und der Blick auf das dahinterliegende Land stellt kein Spezifikum der Rezeption der innerdeutschen Grenze dar, sondern zeigt sich ebenso bei Schmalfilmen, die an den Grenzen zu Polen und vor allem der CSSR aufgenommen worden sind.

Sequenz aus OMB Box 081 Rolle 10
Sequenz aus OMB Box 061 Rolle 09

Davon abgesehen zeigen die privaten Filmaufnahmen der Grenze die beschriebene große Vielfalt an Entstehungskontexten. Die Schmalfilme der Grenzpolizisten von der innerdeutschen Grenze gehören sicher zu den frühesten Aufnahmen vor 1961 und zeigen die Grenze eher als den eigenen derzeitigen Lebensraum mit den drei Hauptmotiven Grenzstreifen, Kameraden im Dienst und Blick nach drüben in den Westen – der hier durch die überschaubaren Stacheldrahtzäune noch problemlos möglich ist.

Sequenz aus OMB Box 117 Rolle 01

Wie unbehelligt man sich in den 1950er Jahren der grünen Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik annähern konnte, zeigen die Freizeitfilme von Skigruppen und Spaziergängern. Hier werden die Grenzschilder als markante Wegpunkte wortwörtlich im Vorbeigehen festgehalten, wo ansonsten nur Gruppenaktivitäten und Familienmitglieder gezeigt werden.

Sequenz aus OMB Box 064 Rolle 16
Sequenz aus OMB Box 011 Rolle 03

In dieser Zeit war die Grenze zwischen Ost und West nur noch in Berlin frei passierbar, vor allem für die Hunderttausenden von täglichen Grenzgänger*innen, die in einem Teil der Stadt wohnten und in dem anderen arbeiteten. Lediglich Straßenkontrollen und die an der Sektorengrenze allgegenwärtigen Hinweisschilder zeugten von der administrativen und politischen Teilung der Stadt.[13] Für die Bewohner*innen schien es undenkbar, die Millionenstadt mit ihrer gewachsenen und komplexen Infrastruktur für den Verkehr, den Strom- und Gasleitungen, der Wasserversorgung und Kanalisation sowie das Telefonnetz so rigoros trennen zu können. Für den Alltag der Menschen in Berlin spielten die Sektorengrenzen zumeist nur eine geringe, wenn überhaupt wahrgenommene Rolle. So ist es auch erklärbar, dass der Mauerbau 1961 zunächst von vielen Berliner*innen eher mit Neugier als mit Schrecken verfolgt wurde, weil die allergrößte Mehrheit sich nur eine temporäre Absperrung vorstellen konnte.

Sequenz aus OMB Box 123 Rolle 10

Wie das restriktive, nach innen gewandte Grenzregime an der Berliner Mauer den Blick von Osten auf die Sperranlagen unterband, zeigt sich bereits in der Tatsache, wie selten die Mauer in den 28 Jahre ihrer Existenz in den privaten Schmalfilmen auftaucht. Die wenigen Ausnahmen verweisen auf die spezifischen Umstände, unter denen es dennoch möglich sein konnte. Am häufigsten war dies am Brandenburger Tor der Fall, wie alle drei Filmaufnahmen aus der Zeit zwischen 1961 und 1989 zeigen. Der organisierte Besuch mit einer Gruppe konnte es sogar erlauben, hinter dem Mahnmal für den als Märtyrer verherrlichten DDR-Grenzsoldaten Reinhold Huhn die Ostseite der Sperranlagen und dahinter die Bauten auf West-Berliner Seite in Kreuzberg ganz unbehelligt zu filmen.

Sequenz aus OMB Box 064 Rolle 24

Die Erfahrung des Grenzraums konnte ebenso mit einem starken visuellen Akzent versehen werden, wie ein Beispiel vom Pariser Platz am Brandenburger Tor zeigt. Eine interessante Schmalfilmaufnahme schneidet hier von dem eindringlich in Szene gesetzten Grenzschild auf den weit ausgedehnten Grenzstreifen über, bevor der horizontale Schwenk dann in einen vertikalen mündet, der die eigene Kameraposition direkt an der Absperrung und die Bewegungslosigkeit am Boden zeigt. Hier wird die Grenze als Endpunkt der eigenen Mobilität ganz deutlich in Szene gesetzt.

Sequenz aus OMB Box 121 Rolle 16

Am Ende

Nach dem Mauerfall wird die neu gewonnene Freiheit vor allem am filmischen Erkunden des bislang so hermetisch abgeschirmten Grenzstreifens ersichtlich. Dies gilt gleichermaßen für die innerdeutsche Grenze wie für die Berliner Mauer. Bei der Fahrt durch einen der neuen provisorischen Grenzübergänge wird der bislang verbotene Kamerablick in den Grenzstreifen eine typische Aufnahme.

Sequenz aus OMB Box 059 Rolle 10
Sequenz aus OMB Box 128 Rolle 15

Natürlich wurde nun auch die Westseite der Berliner Mauer von DDR-Schmalfilmen erfasst, ebenso wie der früh beginnende Handel mit abgeschlagenen Stücken der kurz zuvor noch streng gesicherten Staatsgrenze. Hier zeigt sich am Schluss in einem Anachronismus eines der Grundprobleme der DDR. Denn der Mauerfall und die neuen Freiheiten wurden ja zudem massenhaft von West-Berliner*innen gefilmt, allerdings schon nahezu ausschließlich mit der seit den 1980er Jahren gängigen Videotechnik und mit den entsprechend langen Laufzeiten der Videokassetten. Ein DDR-Schmalfilmer hat einen solchen „Kollegen" am Platz vor dem Brandenburger Tor selber gefilmt. Den Mauerfall auf Schmalfilm aber gibt es nur als DDR-Produkt. Bis zu derem Ende war es nicht gelungen, der Weltmarktentwicklung zu folgen und Videokameras für den privaten Gebrauch in den Handel zu bringen.

Sequenz aus OMB Box 092 Rolle 07
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