Die DDR im Schmalfilm Bild

Stein auf Stein Filme von Hausbau und Heimwerker*innen

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Stein auf Stein

Filme von Hausbau und Heimwerker*innen

von Reinhild Kreis

26. Juni 2022

Größere Bau- und Renovierungsarbeiten waren in der DDR wie in vielen anderen Gesellschaften ein beliebtes Filmsujet. Ein Haus zu bauen oder an Heimwerkermaterialien und -werkzeuge zu kommen war jedoch ungleich schwieriger als in kapitalistischen Gesellschaften. Was zeigen diese Filme zum Bauen, Renovieren und Heimwerken also über das Leben in der DDR? Der Beitrag thematisiert in vier Schritten das Haus, die Bauleute, die Bauarbeiten sowie deren filmische Dokumentation.

Heidi und Achim bauen! Und zwar Mitte der 1970er Jahre im Örtchen Gräfenwarth, Kreis Schleiz, Bezirk Gera. Über 74 Minuten und verteilt auf drei Filmrollen hinweg wird detailliert dokumentiert, wie das Einfamilienhaus entstand (OMB Box 143 Rolle 01) (OMB Box 143 Rolle 02) (OMB Box 001 Rolle 03). Filmemacher scheint einer der Väter des bauenden Paars gewesen zu sein. Einer westdeutsch sozialisierten Betrachterin wie mir verraten nur das eigenblendete Ortsschild sowie die Trabis am Rand der Baustelle, dass Haus und Film in der DDR entstanden sind. Denn aus meinem eigenen ländlich geprägten familiären Hintergrund sind mir viele Sujets – Schubkarren, Steinhaufen, Männer im Arbeitskittel oder mit freiem Oberkörper bei anstrengender körperlicher Arbeit – wohlvertraut. Gleiches gilt für das Bedürfnis, größere Arbeiten rund ums Haus oder gar dessen Bau zu dokumentieren. Menschen wie Heidi und Achim in Thüringen oder meine Eltern in Hessen stehen damit nicht allein. In Schmalfilmsammlungen wie der Open Memory Box oder dem Filmbestand „Niederösterreich privat“ sind Bilder von „Neubau, Renovierung oder Adaptierung des Eigenheims“ zahlreich vertreten.[1] Die Forscher*innengruppe, die den österreichischen Bestand erschließt, hat dafür die Kategorie „Eigenheimfilme“ gebildet. Filme über Arbeiten rund um das private Wohnumfeld stehen demnach für ein weit verbreitetes, transnationales Phänomen. Wenn Heidi und Achim in Gräfenwarth bauen und darüber ein aufwendig gestalteter Film entsteht, was sehen wir also?

Weil „Heidi und Achim bauen!“ außergewöhnlich lang und detailliert ist, dient er als Ausgangspunkt, um die Filme der Open Memory Box rund um das Thema Bauen und Heimwerken etwas genauer zu charakterisieren und einzuordnen. Es wird um das Haus gehen, um die Bauleute, den Hausbau und schließlich auch um die filmische Dokumentation des Hausbaus.

Zunächst also das Haus. Die Filme der Open Memory Box zu Arbeiten rund um das eigene Wohnumfeld haben einen klaren Schwerpunkt: das Errichten neuer Gebäude. Kaum jemand scheint Renovierungs- oder Umbauarbeiten von Innenräumen gefilmt zu haben.

Sequenz aus OMB Box 038 Rolle 06
Sequenz aus OMB Box 081 Rolle 26
Sequenz aus OMB Box 105 Rolle 08

Aufnahmen vom Hausbau – meist Eigenheim, manchmal Datsche – finden sich hingegen häufiger, seltener auch von umfangreichen Renovierungsarbeiten an einem bestehenden Haus. Doch was bedeutet das? Die DDR war ein Land der Mieter*innen und der Heimwerker*innen, nicht aber der Eigenheimbesitzer*innen. Das war politisch gewollt. Vor allem in den 1950er Jahren galten Einfamilienhäuser der SED als individualistisch, bürgerlich und nicht zuletzt auch als Verschwendung knapper Ressourcen. Wohnungsbau und Wohnungspolitik waren Teil der sozialistischen Planwirtschaft mit egalitärer Gesellschaftsvision. Es gab keinen Wohnungsmarkt, sondern Wohnraum wurde zugewiesen; Neubauten erfolgten überwiegend als Massenwohnungsbau und in Form „volkseigener Gebäude“, in denen dann gemäß des sozialistischen Gleichheitspostulats Menschen aller Berufe, Einkommensgruppen, Bildungsgrade und Generationen leben sollten (und dies auch taten). Idealerweise bildeten die Mieter*innen gemeinsam eine „Hausgemeinschaft“ – nicht nur insofern, als sie in einem Haus lebten, sondern auch als rechtlich definierte und emotional überformte Gemeinschaft, die Verantwortung für das Haus übernahm – auch durch Instandhaltungsarbeiten. Sie spielen wie auch Innenrenovierungen jedoch kaum eine Rolle in den Filmen.

Wer bei Gründung der DDR bereits ein Haus besaß, behielt dies üblicherweise auch weiterhin. Doch der Neubau von Einfamilienhäusern spielte – anfänglich auf niedrigem Niveau – erst ab den späten 1950er Jahren eine Rolle im Wohnungsplan der DDR, vor allem dann aber seit den 1970er Jahren. Heidis und Achims Hausbau fiel in die Zeit nach dem VIII. Parteitag 1971, auf dem die SED beschlossen hatte, „den individuellen Wohnungsbau mit eigenen Leistungen und staatlicher Unterstützung“ zu fördern. Die volkseigenen Verlage veröffentlichten entsprechende Anleitungen, um sicherzustellen, dass die Träume vom Eigenheim verordnungsgemäß blieben und nicht etwa die gesellschaftspolitischen und planwirtschaftlichen Ziele über den Haufen warfen.[2] Die Datschen wiederum entstanden auf Parzellen, die den Pächter*innen zwar nicht gehörten, staatlicherseits aber über Jahrzehnte hinweg zur Nutzung überlassen wurden, ohne dass sie eine Kündigung zu befürchten gehabt hätten. Die Hintergründe des Hausbaus bleiben in den Filmen im Dunkeln. Erhielten Heidi, Achim und die anderen Hausbauer*innen staatliche Subventionen, wie es bei Eigenheimen üblich war? Wie hoch lag der Eigenanteil bei der Finanzierung, und woher hatten die Bauleute das Geld? In welchem Umfang mussten Eigenleistungen erbracht werden? Wie lange hatten sie auf die Genehmigung gewartet, ein Haus bauen zu dürfen? War das Haus – wie häufig üblich – genormt bzw. welchen Spielraum gab es bei der Gestaltung?

Was hingegen sichtbar wird: Soweit ersichtlich, scheinen alle in den Filmen der Open Memory Box gezeigten Häuser – Einfamilienhäuser wie Wochenendhäuser – auf dem Land gebaut worden zu sein. Sie stehen entweder neben anderen Einfamilienhäusern in einer dörflichen Struktur oder sind von Natur umgeben. Auffällig ist, dass die gefilmten Eigenheime Stein für Stein aus Ziegel- oder später auch Gasbetonsteinen gemauert wurden (Datschen waren hingegen häufig auch aus Holz gebaut). Fertighäuser gab es zwar auch in der DDR, allerdings eher selten, und in den Schmalfilmen sind sie kaum zu sehen.

Sequenz aus OMB Box 075 Rolle 06

„Typisch ostdeutsch“ ist dies jedoch nicht, denn auch in der Bundesrepublik waren Fertighäuser selbst in den 1980er Jahren längst nicht so weit verbreitet wie beispielsweise in Großbritannien, den USA oder Schweden.[3] „Typisch ostdeutsch“ war hingegen, dass Einfamilienhäuser die Ausnahme und nicht die Regel waren, und dass der Bau in viel stärkerem Maße von staatlichen Genehmigungen abhing als in kapitalistischen Gesellschaften. Filme wie der über Heidi und Achim zeigen demnach das eher außergewöhnliche und dann oft langwierige Ereignis des Hausbaus in der DDR, ohne aber die Voraussetzungen und Umstände abzubilden. Diese Umstände bedürfen einer zusätzlichen Erläuterung, wie sie beispielsweise der Zeitzeuge der Geschichte „Mein Kofferradio“ zur Verfügung stellt. Sein Vater war Arzt, und dem Bericht des nun erwachsenen Sohnes zufolge war der Hausbau für Menschen wie seine Eltern 1959/60 nur möglich, weil viele Gemeinden Angst hatten, Ärzte könnten in den Westen fliehen. Die Baugenehmigung und Hilfe bei der Materialbeschaffung sollten die medizinische Versorgung vor Ort sicherstellen.

Heidi und Achim repräsentieren die typischen Bauleute, wie sie in den Schmalfilmen gezeigt werden. Sie sind jung, und sie haben eine Familie. Viele Filme vom Hausbau zeigen Kinder und verorten die Häuser damit als Privatbauten. Eine Ausnahme zeigt das Filmmaterial aus Box 002, Rolle 23 mit „Schnappschüsse[n] vom Bau unseres Wochenendhauses“.

Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 23

Hier scheint die Belegschaft einer Fabrik für sich gebaut zu haben. Darauf deutet zum einen das eingangs eingeblendete Schild „M. Kenzler Möbelfabrik Leipzig-Mockau, Werk Berthelsdorf“ hin (OMB Box 002 Rolle 23), zum anderen zeigt der Film sowohl bei den Arbeiten als auch bei der anschließenden Nutzung des fertigen Hauses nur erwachsene Männer. Dies war jedoch die Ausnahme. Üblicherweise bevölkerten stets auch Kinder die Baustellen, erkundeten sie interessiert, beobachten die Arbeiten oder sie spielen, während die Erwachsenen auf dem Bau beschäftigt sind. Manchmal halfen sie auch mit.

Familienleben spielte sich während der Bauzeit zu einem Gutteil rund um die Baustelle ab. Etliche Kinder nutzten die Baustelle für ihre Spiele, indem sie durch Öffnungen hinein- und hinausrannten, große Fässer zum Baden nutzten oder auch, indem sie einen tiefen Zug aus einer der vielen herumstehenden Bierflaschen nahmen (OMB Box 001 Rolle 16). Oder aber sie nutzten den – erzwungenen? – Aufenthalt, um sich zu sonnen oder mit ihrem Spielzeug zu spielen. Mitunter ergeben sich lustige Parallelführungen. So zeigt ein Film zunächst eine Baustelle mit Schubkarre im Mittelpunkt des Bildes. Es folgt eine Sequenz, in der ein kleiner Jung im Garten Ostereier sucht und seine Funde in einer kleinen Spielzeugschubkarre abtransportiert. Die nächste Einstellung zeigt wiederum die Baustelle. Die Schubkarre ist nun voll beladen, jedoch nicht mit Schokoladeneiern, sondern mit großen Steinen, die ein junger Mann dann abtransportiert. Zufall oder bewusst eingebaute Komik?

Sequenz aus OMB Box 021 Rolle 06

Mindestens zeitweise arbeiteten auf vielen Baustellen, so auch bei Heidi und Achim, weitere Personen mit. Ob es sich um bezahlte Handwerker*innen oder aber um Nachbarschaftshilfe, Verwandte, oder Kolleg*innen handelte, lässt sich kaum erkennen. Nachbarschaftshilfe stand in der DDR hoch im Kurs, denn in einer Gesellschaft, in der Handwerksbetriebe kaum Kapazitäten für private Baustellen hatten, war die wechselseitige Hilfe unabdingbar. In „Feierabendbrigaden“ arbeiteten aber oftmals auch Handwerker – mitunter waren dies die Arbeitskollegen der Bauleute – am Wochenende oder eben nach Feierabend gegen Bezahlung am Bau. Kleidungsstücke wie Kittel und Arbeitshosen und auch eine routinierte Arbeitsweise deuten darauf hin, dass es sich um Handwerksbetriebe oder Feierabendbrigaden handelte, doch zweifelsfrei lässt sich dies nicht sagen.

Für eine Gesellschaftsgeschichte der DDR gilt auch hier: Die Unterschiede zu anderen Gesellschaften wie etwa der westdeutschen sind gradueller Natur. Nachbarschaftshilfe und Schwarzarbeit hatten in beiden deutschen Staaten Tradition, die Unterschiede lagen im Umfang (in Ostdeutschland stärker ausgeprägt als im Westen), in der Art des Mangels (im Osten waren Geld und/oder Handwerksbetriebe knapp, im Westen sollte vor allem Geld gespart werden) und in der Bewertung von handwerklicher Facharbeit gegen Bezahlung außerhalb der Arbeitszeit. Während in der Bundesrepublik Schwarzarbeit weit verbreitet, offiziell aber verboten war, arbeiteten die Feierabendbrigaden legal und mit der Genehmigung ihrer Betriebe.

In den Filmen waren die Baustellen Domänen der Männlichkeit. Hier waren ganz überwiegend arbeitende Männer zu sehen. Sie trugen Arbeitskleidung, bei wärmeren Temperaturen oftmals nur Unterhemd oder Badehose, oder arbeiteten mit nacktem Oberkörper.

Sequenz aus OMB Box 001 Rolle 16

Schwarz-weiß-Aufnahmen von älteren Arbeitern erinnern an Darstellungen von Arbeiterhelden der Zwischenkriegszeit und der frühen DDR, die Arbeitskleidung und Mütze trugen und mit zerfurchtem, ernst blickendem Gesicht, oftmals mit Pfeife oder Zigarette im Mundwinkel, schwere körperliche Arbeiten verrichten.[4] Jüngere Männer werden gerade in den späteren Filmen als Kindern zugewandt sichtbar. Dafür steht etwa ein Mann, der vorsichtig ein Mädchen vom Dach hebt, ihr den Abstieg von der Leiter erklärt und abwartete, bis das Kind sicher unten angekommen war (OMB Box 004 Rolle 12). Ein anderer tolerierte mir stoischer Gelassenheit zwei durch eine Maueröffnung hin- und herrennende Kinder (OMB Box 143 Rolle 01). Es wäre interessant, die bauenden Männer der privat gedrehten Schmalfilme mit Männer- und Männlichkeitsbildern in Fernsehen, Kino, Printmedien und Parteimaterialien in Beziehung zu setzen.[5]

Frauen wurden seltener im Zusammenhang mit Baustellen gefilmt. Sie trugen ebenfalls Arbeits- oder im Sommer auch Badekleidung, erstaunlich oft auch Kleider oder Röcke. Kaum aber und nur in kürzeren Sequenzen werden sie als Bauarbeiterinnen sichtbar. Eher sind sie als Zuschauerinnen, als Helferinnen, Versorgerinnen oder Besucherinnen zu sehen. Der Film zu Heidi und Achim ist in gewisser Hinsicht eine Ausnahme, denn hier sieht man Frauen bei vielerlei Arbeiten mit Spitzhacke, beim Graben, mit der Schubkarre, beim Mauern und anderen schweren Tätigkeiten. Etwas Besonderes ist daher auch eine Aufnahme, die eine Frau an der Betonmischmaschine zeigt.

Sequenz aus OMB Box 107 Rolle 03

Bezeichnenderweise zeigt diese Szene aber eine Frau, wie sie die Deichsel der Betonmischmaschine anhebt, ein wenig bewegt, an ihren Ursprungsort zurückfährt und in der Folge zu sehen ist, wie sie Männer bei den Bauarbeiten beobachtet. Die Darstellungen von Arbeit und Geschlecht ist möglicherweise der Filmsituation geschuldet. Bei einem Gutteil der Filme, die Männer bei Bauarbeiten zeigen, werden Frauen gefilmt haben – ein deutlicher Unterschied zu den vielen Familienfilmen, in denen Männer kaum zu sehen sind, weil sie filmen.[6] Doch werfen die Filme auch Fragen über das Verhältnis von öffentlich propagierter Gleichberechtigung und im Alltag gelebten Geschlechterrollen auf.

Die Bauarbeiten selbst werden als harte körperliche Arbeit sichtbar. Jeder Stein musste gemauert, jeder Balken getragen und aufgerichtet, jeder Berg Zement geschaufelt werden. Außer Betonmischmaschinen und allenfalls ein Förderband zum Transport schwerer Materialien in die oberen Etagen sind nur selten technische Hilfsmittel zu sehen. Heidi und Achim hatten Glück, vielleicht auch Geld und/oder Beziehungen. Ihnen standen neben vielen Helfer*innen auch Geräte wie einen Bagger und ein LKW mit Kranaufsatz zur Verfügung. Ihre Baustelle sah ordentlich aus. Steine und Bretter waren meist sorgfältig geschichtet, während sie in anderen Baustellen oftmals in unordentlichen Haufen lagen. Waren Heidi und Achim so viel penibler als andere? Auch hier kann nur spekuliert werden. Hausbauer*innen in der DDR konnten üblicherweise die benötigten Materialien nicht einfach bestellen und dann anliefern lassen, sondern mussten sie selbst und nicht zuletzt über Beziehungen besorgen. Der Nachweis über den Besitz von Steinen, Holz und Ziegeln war häufig notwendig, um überhaupt eine Baugenehmigung zu erhalten. Während die Filme also Materialberge zeigen, bleiben die aufwendigen und häufig auch vergeblichen Bemühungen, an Baustoffe zu kommen, unsichtbar. Bis die notwendigen Materialien beisammen waren, konnte viel Zeit vergehen, und diese lange Vorbereitungsdauer kann dazu beigetragen haben, wie das Material auf Baustellen gelagert war. Was außerdem auffällt: nur wenige Arbeiter*innen auf den Baustellen tragen Schutzkleidung wie Helme oder Handschuhe.

Die Männer und Frauen auf den Baustellen transportierten und verarbeiteten die Baustoffe mit viel Geschick und Souveränität. Szenen wie der ergebnislose Versuch, die Betonmischmaschine zu bewegen, sind selten zu sehen. Unsicherheit und Zaudern sind allenfalls zu erkennen, wenn Besuch auf die Baustelle geführt wurde und in feiner Kleidung unsicheren Schrittes die Leiter hinauf- oder hinabstieg (OMB Box 001 Rolle 01). Alle anderen schienen fast ausnahmslos genau gewusst zu haben, was sie tun – vielleicht, weil sie im Verlauf der Bauarbeiten viel Erfahrung gesammelt hatten, oder weil sie auch im Hauptberuf handwerklich tätig waren und beispielsweise als Feierabendbrigade mitbauten. In einigen wenigen Filmen wird sichtbar, dass zum Aufbau manchmal auch das Niederreißen gehört. Es mutet fast lustvoll an, wenn alte Bauteile eingerissen werden, vermutlich um dann den Platz oder aber die so freigesetzten Baustoffe erneut nutzen zu können (OMB Box 004 Rolle 20) [box:004 rolle: 020 start: 01:25:19 stop: 01:31:16) (OMB Box 039 Rolle 09). Auffällig häufig kommunizieren in diesen wenigen Szenen die Bauarbeiter*innen mit den Filmenden durch Gestik, Mimik oder gesprochene Kommentare.

Nicht zuletzt werden die Baustellen als Orte des Sozialen gezeigt, und auch hier weist zunächst wenig auf einen spezifisch ostdeutschen Kontext hin. Meist sind Personen zu sehen, die unmittelbar in das Baugeschehen involviert sind oder so wie die Kinder einfach mit dabei sind. Manchmal ist auch zu sehen, wie die Baustelle präsentiert wurde, ob für Freunde, Familienangehörige oder Auftraggeber*innen, ist dabei kaum zu sagen. Ganz überwiegend zeigen die Filmaufnahmen jedoch den Alltag auf der Baustelle oder Rituale rund um den Hausbau. So pflegten die Bauleute zum Beispiel Bräuche wie das Richtfest. Das Fest ist fast nie zu sehen, wohl aber der Baum und manchmal auch das Aufstellen des Richtbaums (OMB Box 039 Rolle 09) .

Als Tradition lässt sich vielleicht auch der Bierkonsum auf der Baustelle deuten. Kaum eine Filmaufnahme zeigt Baustellen ohne Bierflaschen bzw. biertrinkende Personen. Sie sind entweder beiläufig im kurzen Schwenk zu sehen oder sie werden gezielt fokussiert, manchmal prostet ein Biertrinker der Person hinter der Filmkamera zu (OMB Box 004 Rolle 12). Die Zuschauer*innen sehen zudem, wie sich Menschen auf der Baustelle provisorisch einrichteten: Es gab Tische, Bänke oder Stühle, Planschbecken, Liegestühle, Kinder brachten ihre Spielsachen mit, und selbst die Umstände der Notdurft mit improvisierter Toilette und Wassereimer werden festgehalten.

Diese Situation schien sowohl für die (vermutlich filmenden) Erwachsenen wie auch die Kinder, die bei der Nutzung der „Toilette“ gezeigt werden, sehr interessant gewesen zu sein, sodass sie gleich zweimal gefilmt wurde.

Von Heidi und Achim erfahren wir hier nichts, außer dass sie Mitte der 1970er Jahre ein Haus bauten und wie dieser Hausbau vonstatten ging. Box 143 umfasst nur die drei Filme, die dieses Ereignis dokumentieren, dies aber ausführlicher als alle anderen Filme zum Thema und in einer ausgesprochen aufwendigen Gestaltung mit eingeblendeten Zwischentiteln bzw. -kommentaren. Ob die Filmemacher hinter Box 143 nur diese Filme drehten (was nicht sehr wahrscheinlich erscheint) oder nur diese Filmauswahl für die Open Memory Box zur Verfügung stellten: Es bleibt außergewöhnlich, dass ganze Filme nur einer einzigen Thematik gewidmet sind. In allen anderen Fällen sind Bau- und Renovierungsarbeiten umgeben von vielfältigen Urlaubs-, Garten-, Familien- oder anderen Bildern. Deutlicher als der Film zu Heidi und Achim zeigen die übrigen Filme Bauarbeiten als einen – wenn auch wichtigen – Teil eines vielfältigen Lebens der Beteiligten.

Außergewöhnlich ist auch, dass Heidis und Achims Haus von den ersten Vorbereitungsarbeiten bis zum fertigen Bau gezeigt wird. Die anderen Filme zeigen die Bauarbeiten, bei denen das Haus bereits zu erkennen, aber noch nicht fertig ist. Der Zustand vorher bzw. nachher scheint weniger interessant gewesen zu sein, zumal wenn es sich um einen Neubau und nicht einen Umbau handelte. Auf einem leeren Grundstück war wenig zu sehen, und das fertige Haus als Endprodukt wurde dann bezogen – es zu dokumentieren schien möglicherweise weniger wichtig, da man darin ja wohnte, während die Bauarbeiten einen vorübergehenden Zustand zeigten, der später unsichtbar war, wenn er nicht bildlich festgehalten wurde. Ein Haus bauten die meisten vermutlich nur einmal im Leben, und diese zeit-, kraft- und kostenintensive Transformation sollte festgehalten werden.

Der Fokus auf einen für die meisten Familien einmaligen Produktionsprozess ist anders gelagert als Aufnahmen des sich wiederholenden alltags wie etwa Aufnahmen von Familienfesten, Urlauben, Arbeits- und Familienleben oder auch Szenen häuslicher Herstellungsprozesse, wenn beispielsweise die Essenszubereitung oder Strickarbeiten gefilmt wurden. Ein Hausbau war ein herausgehobenes Ereignis, das einen enormen Aufwand bedeutete und das Familienleben in ein Vorher und ein Nachher schied. Daher zeigen viele Aufnahmen nicht nur Szenen des aktiven Bauens, sondern menschenleere Baustellen als zu dokumentierende Etappen des Baus: hochgezogene Mauern, Dachstühle, Fenster- und Türöffnungen. Das Bestreben, die Baustelle als schrittweise Veränderung des Raums zu zeigen, wird durch den häufig gewählten Wechsel zwischen Nahaufnahme und Überblick aus der Ferne verstärkt. Häuser werden als Teil einer Häuserzeile oder in der sie umgebenden Landschaft gezeigt, oder aber der Blick geht von der Baustelle aus in die Umgebung und verortet das Haus auf diese Weise.

Die Gegenwart der ihre Arbeit dokumentierenden Kamera scheint für die meisten Personen auf der Baustelle keine große Rolle gespielt zu haben. Anders als bei Familienfeiern o.ä. zeigen die Schmalfilme von Bauarbeiten kaum einmal Interaktionen zwischen Filmenden und Gefilmten. Zwar gibt es auch in den Filmen zum handwerklichen Arbeiten rund um Haus oder Wohnung den kurzen Blick in die Kamera, der sichtbar macht, dass sich Menschen in diesem Moment der Kamera bewusst sind. Doch sind sie selten und meist nur kurze Augenblicke, fast nie winkt jemand in die Kamera und wenn doch, sind es teilweise die Beobachter*innen der Bauarbeiten (OMB Box 004 Rolle 12), noch seltener interagiert jemand auf andere Weise mit der Kamera (OMB Box 004 Rolle 12). In anderen Filmsequenzen strecken Gefilmte die Zunge Richtung Kamera, machen Abwehrgesten oder laufen weg. Nicht so auf der Baustelle. Hier lassen sich alle, wissentlich oder unwissentlich, dokumentieren und sind ganz auf ihre Arbeit fokussiert – oder vielleicht auf ihre Rolle? Keine Reaktion auf die Kamera zu zeigen kann auch der Selbststilisierung gedient haben, beispielsweise als Mann oder als selbstbewusste*r Könner*in. Besonders interessant scheint diese Frage mit Blick auf die Filme, die dezidiert als Dokumentationen des Bauprozesses angelegt waren wie die Filme zu Heidi und Achim oder die „Schnappschüsse vom Bau unseres Wochenendhauses“.

Sequenz aus OMB Box 002 Rolle 23

Der Film zu Heidis und Achims Hausbau enthält sogar eine Dokumentation innerhalb der Dokumentation. Bereits ziemlich früh in der ersten Filmrolle wird eine selbstgebastelte Urkunde eingeblendet, die bestätigen soll, „daß das Haus in den Jahren 1975-77 erbaut wurde“. Die unterzeichnenden „Miterbauer“ wünschten „dem Besitzer viel Glück und Zufriedenheit in seinem Heim. Möge er immer bewahrt bleiben vom Feuerteufel und von Hochwasser, von Erdbeben und von der [Sündflut?].“ In einer Flasche verschlossen wurden diese Wünsche im ausgehölten Grundstein in das Haus mit eingebaut.

Was zeigen die Filme also? Sie zeigen das Außergewöhnliche des Hausbaus zusammen mit dem Gewöhnlichen der handwerklichen Tätigkeit. Viele Menschen in der DDR waren handwerklich geschickt, teils aus Notwendigkeit, teils aus Spaß an der Sache, oft mit fließenden Übergängen zwischen Notwendigkeit und Spaß.[7] Zu einem Ereignis wurde der Hausbau, weil er vergleichsweise selten war, doch dies ist in den Filmen ebenso wenig zu erkennen wie die spezifisch ostdeutschen Wege, eine Genehmigung zu erhalten, Baustoffe und Handwerker*innen zu organisieren. Auch die staatlicherseits mit Bau- und Renovierungsmaßnahmen verbundenen Erwartungen bleiben unsichtbar. Der Vergleich mit Filmausschnitten zum Thema Basteln deutet an, dass Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit auch anders gelagert sein können. Solche Aufnahmen sind im Vergleich weniger zahlreich und zeigen bastelnde Kinder oder Jugendliche oft ebenfalls ohne weitere Kontextualisierung.

Sequenz aus OMB Box 039 Rolle 04

Es gibt aber auch einige Filme, die Basteln im Kontext von Kinderferienlagern (OMB Box 044 Rolle 04) (OMB Box 044 Rolle 05) oder bei Volksfesten mit parteipolitischer Beteiligung (OMB Box 127 Rolle 04) (OMB Box 127 Rolle 05) zeigen, bei denen die „Bastelstraße“ mit zum Programm gehörte. Hier wird konkreter erkennbar, dass Basteln (auch) politisch angeregtes, angeleitetes und erwünschtes Tun sein konnte.

Sequenz aus OMB Box 127 Rolle 04

Die politische und wirtschaftliche Dimension bleibt in den Filmen zu Bauarbeiten rund um Haus und Wohnung im Dunkeln, obwohl sie eine große Rolle in der DDR spielte.[8] Wir sehen die Praktiken, aber nicht die dahinterliegenden Strukturen. Die Filme zeigen handwerkliche Arbeiten vornehmlich an der Großbaustelle des Hausbaus, in ländlichen Gegenden und als sozial eingebundene Tätigkeit. Als solche sind die Filmaufnahmen nicht spezifisch ostdeutsch, sondern eher milieuspezifisch und laden dazu ein, die Versorgungsweisen, Praktiken, Geschlechter-, Familien- und Nachbarschaftsverhältnisse dieses Milieus zu erkunden.

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